Streit der Eltern über die Wahl des Kindergartens
OLG Hamm, Beschluss vom 25.5.2018 – 4 UF 154/17
Aus dem Sachverhalt:
Aus der geschiedenen Ehe der Beteiligten ist das 2014 geborene Kind N hervorgegangen, das im Haushalt der Kindesmutter in L. lebt. Die Kindeseltern sind gemeinsam sorgeberechtigt. Die Kindesmutter begann zum 15.2.2017 eine halbschichtige Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer Universität. Die Betreuung von N wird seit August 2015 unter Zuhilfenahme einer Tagesmutter sichergestellt. Der Kindergartenbesuch durch N zum Sommer 2017 wird von beiden Kindeseltern befürwortet. Der in einem anderen Ort wohnende Kindesvater hat regelmäßigen Umgang mit dem Kind. Die Kindesmutter möchte N im Waldorfkindergarten in T. – In der Nähe ihrer Arbeitsstelle, nicht aber ihres Wohnorts – anmelden, was der Kindesvater ablehnt. Die Mutter hat in der 1. Instanz behauptet, dass bereits die Tagesmutter habe N im Sinne der Waldorfpädagogik erzogen habe, so dass der Besuch eines entsprechenden Kindergartens für N eine Kontinuität darstelle. Auch entspreche diese Pädagogik der zurückhaltenden Persönlichkeit von N, und die biologisch-dynamische Nahrung wirke sich positiv auf dessen empfindliche Haut aus. Die Waldorfpädagogik sei staatlich anerkannt. Die Kindesmutter hat erstinstanzlich beantragt, ihr die Entscheidungsbefugnis zur Auswahl des Kindergartens für N zu übertragen. Der Kindesvater ist dem entgegengetreten und hat Antragszurückweisung beantragt. Er lehnt explizit und mit umfassender Begründung den Waldorfkindergarten und dessen Pädagogik ab. Darüber hinaus lehnt er einen anschließenden Besuch einer Waldorfschule ab, der sich aber aufgrund der sodann im Kindergarten geschlossenen Freundschaften anschließen würde. Mit dem Besuch jeden anderen Kindergartens sei er einverstanden und bevorzuge den Besuch eines zur Kindesmutter wohnortnäheren Kindergartens; habe er unter anderem im Kindergarten mit Montessori-Ausrichtung einen Platz für N reserviert. Ökologisch bewusste Nahrung sei in allen Kindergärten vorhanden.
Das AG Siegen hat die Entscheidungsbefugnis über die Kindergartenauswahl für N auf die Kindesmutter übertragen und dem Kindesvater die Kosten des Verfahrens auferlegt. Dagegen wendet sich der Kindesvater mit der Beschwerde.
Das Kind besucht seit dem 22.8.2017 den Waldorfkindergarten. Die Beschwerde des Kindesvaters war in der Sache erfolglos.
Aus den Gründen:
Einem Elternteil ist gem. § 1628 BGB die Entscheidung in einer einzelnen Angelegenheit zu übertragen, wenn die Kindeseltern sich nicht einigen können.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts hat das Amtsgericht zu Recht die Entscheidungsbefugnis über die Kindergartenauswahl für N auf die Kindesmutter übertragen:
„(…) Maßgebendes Entscheidungskriterium ist dabei, wie bei allen Regelungen, die die elterliche Sorge betreffen, gem. § 1697 a BGB das Kindeswohl. Das Gericht trifft diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes insgesamt am besten entspricht. Es ist zu prüfen, welcher Elternteil am ehesten geeignet ist, eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung zu treffen, und die Vorstellungen der Eltern über den gewünschten Kindergarten ist an diesem Maßstab zu messen.“
Das Gericht macht deutlich, dass es nicht seine Aufgabe ist, inhaltlich zu bewerten, welchem Kindergarten aufgrund seiner pädagogischen Ausrichtung der Vorzug zu geben ist:
„Aus den von den Kindeseltern jeweils bevorzugten Kindergärten ergibt sich keine Präferenz für die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil. Dem Senat obliegt nicht die Entscheidung, ob die Position der Kindesmutter oder die des Kindesvaters zum Kindergarten des Kindes der Vorzug zu geben ist, solange beide Positionen vertretbar sind. Beide Kindeseltern haben vertretbare und nachvollziehbare Argumente für die von ihnen jeweils getroffene Wahl.
Die Waldorfpädagogik ist staatlich anerkannt und eine Waldorfschule bietet regelmäßig alle staatlichen Schulabschlüsse an. Der Kindesvater begründet seine Ablehnung auch nicht mit den konkreten Bedürfnissen von N, sondern mit der hinter der Pädagogik stehenden Ideologie. Dem Senat obliegt nicht die Entscheidung über eine grundsätzliche Billigung oder Ablehnung der Waldorfpädagogik.“
Entscheidend war, dass die Kindesmutter „Fakten geschaffen“ hatte, indem sie N seit Sommer 2017 den Waldorfkindergarten besuchen lässt.
„N besucht den Waldorfkindergarten seit dem Sommer 2017 und hat sich dort eingelebt. Dass ein Wechsel des Kindergartens (und der zugrunde liegenden Pädagogik) sinnvoll ist, erschließt sich nicht ohne Weiteres und wird auch vom Kindesvater nicht thematisiert. Nach den Schilderungen der Beteiligten reagiert N zunehmend empfindlich auf den Streit der Kindeseltern. Damit sollte ihm vermehrt Stabilität vermittelt werden und ihm gerade kein Wechsel des Kindergartens zugemutet werden.
Auch die tatsächliche Betreuungssituation durch die Kindesmutter spricht für eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf diese. Denn als tatsächliche Betreuungsperson hat die Kindesmutter im Alltag den Kindergartenbesuch zu unterstützen und erlebt die Konsequenzen täglich sowohl hinsichtlich der praktischen Umsetzung (zB Fahrwege) als auch hinsichtlich der Auswirkungen der angewandten Pädagogik; die Kindesmutter ist voraussichtlich diejenige, die von den organisatorischen/praktischen Folgen der Kindergartenwahl überwiegend betroffen ist.“
Offenbar hatte die Kindesmutter in dem Verfahren nicht in allen Einzelheiten stets die Wahrheit gesagt, so dass dem Senat fraglich erschien, ob die Kindesmutter eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu treffen vermag. Das Gericht hat dann aber deutlich gemacht, dass das vorliegende Verfahren allein dem Ziel dient, das Wohl des Kindes bestmöglich sicherzustellen:
„Der Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf die Kindesmutter steht nicht entgegen, dass diese im Verfahren unwahre oder zumindest unvollständige Behauptungen aufgestellt hat. Um das von ihr gewünschte Ergebnis zu erreichen, behauptete sie Vorzüge des Waldorfkindergartens, die zumindest nicht in der von N tatsächlich besuchten Gruppe vorlagen. So behauptete sie umfassendere Öffnungszeiten des Waldorfkindergartens und verneinte eine vom Kindesvater zum Sommer 2017 sichergestellte Verfügbarkeit eines Kindergartenplatzes in L. Damit ist fraglich, ob die Kindesmutter am Kindeswohl orientierte Entscheidungen zu treffen vermag (….) Jedoch ist ein Bestrafen der Kindesmutter für Fehlverhalten nicht möglich, da alleiniger Maßstab das Kindeswohl ist.
Dabei ist dem Senat durchaus bewusst, dass von den äußeren Gegebenheiten einer der Kindergärten in L. in Wohnortnähe zur Kindesmutter grundsätzlich den Vorzug verdient. Denn dieses bedeutet für N die kürzeren Wege; die Fahrwege der Kindesmutter sind nicht maßgeblich, da die Entscheidung am Kindeswohl und nicht an den Interessen der Eltern auszurichten ist. Die Möglichkeit der Kindesmutter, bei einem arbeitsnahen Kindergarten schneller vor Ort sein zu können, ist nicht entscheidend. Denn die Kindesmutter hat nicht behauptet, dass derartige „Notfälle“ in einem relevanten Umfang eintreten. Auch ermöglicht ein Kindergarten in L. die Beibehaltung der bestehenden Umgangsregelung. Bei einem fortgesetzten Besuch der Waldgruppe des Waldorfkindergartens in T. muss hingegen die Umgangsregelung angepasst werden, was in der Vergangenheit wiederum zu Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Kindeseltern führte.“
Schließlich macht das Gericht sogar deutlich, dass es den Vater für besser geeignet hält, die Kindergartenauswahl vorzunehmen und sich allein im Hinblick auf die bereits erfolgte Eingewöhnung des N im Waldorfkindergarten an einer Übertragung dieser Frage zur Entscheidung an den Kindesvater gehindert sieht:
(…) Insgesamt erscheint der Kindesvater damit zwar grundsätzlich besser geeignet, eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu treffen, da seine Kindergartenauswahl die Fahrwege für N kurz hält und die konfliktfreie Beibehaltung der bestehenden Umgangsvereinbarung ermöglicht. Auch scheint er seine Entscheidung an den Bedürfnissen von N auszurichten, indem er zum Beispiel detailliert die Konsequenzen der verschiedenen Fahrwege überdenkt. Aufgrund des Zeitablaufs und der Eingewöhnung von N im aktuell besuchten Waldorfkindergarten in T. entspricht jedoch nun ein Wechsel des Kindergartens nicht mehr dessen Wohl.
Der Vater hatte lediglich bezüglich der Frage der Kostenverteilung teilweise Erfolg:
„Allerdings ist die erstinstanzliche Kostenentscheidung abzuändern und die Kosten den Kindeseltern jeweils hälftig aufzuerlegen. Die hälftige Kostentragung durch die Kindeseltern ist in Sorgerechtsangelegenheiten der Regelfall; Gründe, um vom Regelfall abzuweichen, sind weder dargetan noch erkennbar.“
Zusammenfassung:
- Der Wechsel eines Kindergartens nach Eingewöhnung des Kindes in einen Kindergarten entspricht regelmäßig nicht dem Kindeswohl.
- Die Kosten einer Sorgerechtsangelegenheit sind grundsätzlich den Kindeseltern hälftig aufzuerlegen.