Kein vollstreckbares Umgangsverbot außerhalb zugewiesener Umgangszeiten
BGH, Beschluss vom 21.02.2024 – XII ZB 401/23
Aus dem Sachverhalt:
Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist ein Ordnungsmittelbeschluss zur Vollstreckung einer gerichtlichen Umgangsregelung. Die Beteiligten sind getrenntlebende Eltern der Kinder M. (8 Jahre) und S. (6 Jahre), die bei der Antragstellerin leben. Der Umgang des Antragsgegners mit den Kindern wurde durch Beschluss dergestalt geregelt, dass dem Antragsgegner für „reguläre Betreuungszeiten“ einerseits und die Ferienzeiten andererseits bestimmte Tage unter Festlegung konkreter Übergabezeiten zugewiesen sind. Unter Ziffer 4 der Umgangsregelung heißt es: „Der Vater holt die Kinder pünktlich an der Schule / am Kindergarten bzw. am Wohnsitz der Mutter ab und bringt die Kinder pünktlich wieder zum Wohnsitz der Mutter zurück.“ Unter II. des Beschlusses findet sich der Hinweis, dass bei „schuldhafter Zuwiderhandlung gegen die getroffene Umgangsregelung“ Ordnungsgeld und ersatzweise Ordnungshaft angeordnet werden kann. Im Zeitraum vom 4.11.2022 bis zumindest zum 28.1.2023 hatte der Antragsgegner insgesamt achtmal außerhalb der ihm zugewiesenen Umgangszeiten Umgang mit einem der Kinder. Er brachte S. am 18. und am 25.12.2022 jeweils später als zu den geregelten Übergabezeiten zur Antragstellerin zurück (Fälle Nr. 3 und Nr. 4) und holte M. an anderen als den ihm zugewiesenen Tagen, nämlich am 4. und 22.11.2022 sowie am 18., 19., 25. und 26.1.2023 (Fälle Nr. 1 und 2 sowie Nr. 5 bis 8) von der Schule ab und/oder nahm ihn nach der Schule für zumindest mehrere Stunden bei sich auf, wobei sich der Aufenthalt von M. beim Antragsgegner im Fall 8 auf mindestens drei Tage erstreckte. Die Antragstellerin hat wegen der Verstöße die Festsetzung eines Ordnungsgeldes i. H. von mindestens 10.000 € gegen den Antragsgegner beantragt.
Das Amtsgericht hat hierauf insgesamt zwölf Tage Ordnungshaft gegen den Antragsgegner festgesetzt, nämlich jeweils einen Tag für die Fälle Nr. 1 bis 7 und fünf Tage für den Fall Nr. 8. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragsgegners hat das Oberlandesgericht die amtsgerichtliche Entscheidung abgeändert und wegen der Zuwiderhandlungen am 18. und am 25.12.2022 (verspätetes Zurückbringen von S.) jeweils ein Ordnungsgeld in Höhe von 250 € (insgesamt 500 €) und ersatzweise Ordnungshaft festgesetzt. Den weitergehenden Ordnungsmittelantrag hinsichtlich der Fälle Nr. 1 und 2 sowie Nr. 5 bis 8 hat es zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde.
Aus den Gründen:
„(…)Soweit die Rechtsbeschwerde zulässig ist, ist sie unbegründet.
Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner in FamRZ 2023, 1386 [m. Anm. Giers], veröffentlichten Entscheidung ausgeführt, die Umgangsregelung beinhalte kein hinreichend bestimmtes und damit vollstreckbares Gebot, dass sich der Antragsgegner außerhalb der festgelegten Umgangszeiten jeglichen Umgangs zu enthalten habe („Umgangsverbot“). Die Verhängung von Ordnungsmitteln wegen Kontaktaufnahmen außerhalb der festgelegten Umgangszeiten setze voraus, dass sich ein entsprechendes Verbot eindeutig aus dem Tenor der Umgangsregelung ergebe und eine Zuwiderhandlung auch von dem Hinweis nach § 89 Abs. 2 FamFG erfasst sei. Da unter den gesetzlichen Begriff des Umgangs unabhängig von Art, Dauer und Betreuungsmodell jede Form der Kontaktaufnahme mit dem Kind falle und einer – wie hier – bloßen Zuweisung von Umgangszeiten eine Unterlassungsanordnung im Sinne eines Umgangsverbots für die übrige Zeit nicht deutlich zu entnehmen sei, sei die Umgangsregelung nicht hinreichend bestimmt und könne damit nicht Grundlage von Ordnungsmitteln wegen des Umgangs des Antragsgegners mit M. in den ihm nicht zugewiesenen Zeiten sein. Hierfür bedürfe es vielmehr mit Blick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) einer Umgangsregelung, die Kontaktaufnahmen außerhalb der festgelegten Umgangszeiten ausdrücklich untersage.
Dies hält rechtlicher Überprüfung stand.
Bei der Zuwiderhandlung gegen einen Vollstreckungstitel zur Regelung des Umgangs kann das Gericht gegen über dem Verpflichteten Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft anordnen (§ 89 Abs. 1 S. 1 FamFG). Die Regelung geht in den Fällen des § 151 Nr. 2 FamFG als Spezialregelung derjenigen in § 95 Abs. 1 Nr. 4 FamFG vor (…).
Voraussetzung für die Verhängung eines Ordnungsmittels nach § 89 FamFG ist eine vollstreckungsfähige Umgangsregelung, mithin eine nach Art, Ort und Zeit erschöpfende, hinreichend bestimmte und konkrete Regelung des Umgangsrechts (…) sowie gemäß § 89 Abs. 2 FamFG ein hierauf bezogener Hinweis auf die möglichen Folgen einer Zuwiderhandlung.
Zu der Frage, ob eine gerichtliche Umgangsregelung, die den Umgang durch Zuweisung von Umgangszeiten positiv regelt, gleichzeitig ein hinreichend deutliches, bestimmtes und damit ordnungsmittelfähiges Gebot an den umgangsberechtigten Elternteil enthält, sich außerhalb der festgelegten Zeiten eines Umgangs mit dem Kind zu enthalten, werden in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten.
So wird eine derart positiv gefasste Umgangsregelung teilweise im Umkehrschluss als an den umgangsberechtigten Elternteil gerichtetes Verbot einer Kontaktaufnahme außerhalb der zugewiesenen Umgangszeiten verstanden und als auch in diesem Sinne vollstreckbarer Umgangstitel angesehen (…).
Insoweit wird teilweise auch vertreten, dass nach Art, Umfang und Gewicht des außerhalb der zugewiesenen Umgangszeiten hergestellten Kontakts zu differenzieren ist. Danach soll eine Regelung, durch die dem Umgangsberechtigten konkrete Umgangszeiten zugewiesen werden, jedenfalls kein vollstreckbares Verbot von Kontaktaufnahmen von kurzer Dauer und untergeordneter Bedeutung, wie etwa von kurzen Wortwechseln im Rahmen zufälliger Begegnungen oder Telefonaten, von E-Mails oder Sprachnachrichten, enthalten (…).
Nach anderer Auffassung liegt in einer Regelung, die dem umgangsberechtigten Elternteil bestimmte Umgangszeiten zuweist, nicht zugleich ein hinreichend bestimmtes und damit ordnungsmittelfähiges (umfassendes) Umgangs- bzw. Kontaktverbot für die übrige Zeit (…). Ein Verstoß gegen eine Umgangsregelung durch Kontaktaufnahme mit dem Kind in der dem Umgangsberechtigten nicht zugewiesenen Zeit ist nach dieser Auffassung nur dann mit Ordnungsmitteln sanktionierbar, wenn neben der Zuweisung von Umgangszeiten ein ausdrückliches Umgangs- bzw. Kontaktverbot für die übrige Zeit in die Entscheidungsformel aufgenommen und ein diesbezüglicher Hinweis nach § 89 Abs. 2 FamFG erteilt ist (…).
Die zuletzt genannte Auffassung ist zutreffend.
Welches Handlungsgebot oder -verbot durch eine Umgangsregelung begründet wird, ist im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln (…).
Aus dem so ermittelten Regelungsgehalt ergibt sich auch, ob die Umgangsregelung einen hinreichend bestimmten und damit vollstreckungsfähigen Inhalt hat und ob sich ein nach § 89 Abs. 2 FamFG erteilter Hinweis hierauf bezieht. Der Frage der Bestimmtheit der Regelung kommt dabei nicht nur nach allgemeinen vollstreckungsrechtlichen Grundsätzen, sondern auch wegen der mit einem Ordnungsmittel nach § 89 FamFG verbundenen Sanktionswirkung im Sinne von Art. 103 Abs. 2 GG (…) besondere Bedeutung zu, zumal der nach § 89 Abs. 2 FamFG erforderliche Hinweis auf die Folgen einer Zuwiderhandlung nur bei hinreichender Bestimmtheit der Umgangsregelung die gebotene Appellwirkung entfalten kann (…). Dem Verpflichteten muss bei verständiger und objektiver Betrachtung deutlich sein, was mit der Regelung von ihm verlangt wird (…). Die Anforderungen dürfen allerdings andererseits mit Blick auf die Effektivität der Vollstreckung und die elterliche Wohlverhaltenspflicht nach § 1684 Abs. 2 BGB auch nicht überspannt werden (…).
Der für die Auslegung einer Umgangsregelung zentrale Begriff des Umgangs ist grundsätzlich umfassend zu verstehen. Zutreffend ist insoweit das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass das Gesetz in § 1684 BGB nicht zwischen verschiedenen Umgangsformen differenziert und der Begriff des Umgangs grundsätzlich jedweden – auch lediglich flüchtigen, fernmündlichen, schriftlichen oder nonverbalen – Kontakt mit dem Kind umfasst. Dies hat der Gesetzgeber klargestellt, indem er vom Begriff des „persönlichen Umgangs“ Abstand genommen und auch niederschwellige Kontaktaufnahmen wie etwa Brief- und Telefonkontakte ausdrücklich in den Begriff des Umgangs i. S. des § 1684 BGB einbezogen (…).
Vor dem Hintergrund dieses umfassenden Begriffsverständnisses ist eine Regelung, die ohne nähere qualitative Eingrenzung Umgangszeiten zwischen dem umgangsberechtigten Elternteil und dem Kind festlegt, nicht hinreichend bestimmt, um dem betroffenen Elternteil in der für eine Vollstreckung gebotenen Deutlichkeit vor Augen zu führen, welches Verhalten von ihm außerhalb der ihm zugewiesenen Umgangszeiten erwartet wird. Insbesondere ist eine solche Regelung nicht ohne Weiteres als an den Umgangsberechtigten gerichtetes Verbot zu verstehen, sich jeglicher Kontaktaufnahme – etwa auch in Form von Briefen, Telefonaten, Text- oder Sprachnachrichten sowie kurzen Gesprächen oder auch eines nur nonverbalen Kontakts im Rahmen zufälliger Begegnungen – außerhalb der Umgangszeiten zu enthalten.
Eine solche Umgangsregelung soll regelmäßig die Umgangsrechte des umgangsberechtigten Elternteils und des Kindes sichern, hat aber ohne entsprechende ausdrückliche Anordnung in diesem Sinne daneben nicht erkennbar den Zweck, jeglichen Umgang für die übrige Zeit auszuschließen. Insbesondere bedeutet eine Festlegung des Umgangs auf einen bestimmten Rhythmus oder eine sonstige Zuweisung konkreter Umgangszeiten gerade nicht, dass zugleich der Kontakt des Umgangsberechtigten für weitere Zeiten ausgeschlossen ist. Vielmehr hat in einem solchen Fall der insoweit Sorgeberechtigte über einen weitergehenden Umgang im Einzelfall zu befinden (…).
Dies gilt auch für eine Umgangsregelung, durch die dem Umgangsberechtigten bestimmte Umgangszeiten als „Betreuungszeiten“ zugewiesen werden. Denn auch aus einer solchen Regelung ergibt sich nicht hinreichend klar, dass hiermit gleichzeitig ein Verbot des Umgangs außerhalb der zugewiesenen Zeiten verbunden sein soll. Eine solche Umgangsregelung stellt daher auch keinen hinreichend bestimmten Vollstreckungstitel dar, aus dem eine Verpflichtung des Umgangsberechtigten, sich außerhalb der ihm zugewiesenen Zeiten eines als Betreuung zu qualifizierenden Kontakts mit dem Kind zu enthalten, vollstreckt werden könnte.
Dem anderen Elternteil steht allerdings die Möglichkeit offen, eine konkrete Verhaltensgebote oder -verbote enthaltende Umgangsregelung nach § 1684 Abs. 3 BGB, einen spezifischen Umgangsausschluss nach § 1684 Abs. 4 BGB oder ein Kontaktverbot nach § 1666 Abs. 3 Nr. 4 BGB zu erwirken(…).
Dabei muss sich ein an den umgangsberechtigten Elternteil gerichtetes Unterlassungsgebot, sich der Kontaktaufnahme mit dem Kind in der ihm nicht zum Umgang zugewiesenen Zeit zu enthalten, stets ausdrücklich und eindeutig aus der Umgangsregelung ergeben und von dem nach § 89 Abs. 2 FamFG zu erteilenden Hinweis umfasst sein, um Grundlage für die Anordnung eines Ordnungsmittels zu sein.
Hieran gemessen enthält die vorliegende Umgangsregelung kein an den Antragsgegner gerichtetes hinreichend bestimmtes Gebot, sich außerhalb der ihm zum Umgang zugewiesenen Zeiten eines Kontakts zu den Kindern zu enthalten, und stellt daher auch keinen den Anforderungen des § 89 Abs. 1 FamFG genügenden Vollstreckungstitel zur Durchsetzung einer derartigen Unterlassungsverpflichtung des Antragsgegners dar. Denn sie weist dem umgangsberechtigten Antragsgegner lediglich positiv bestimmte Umgangszeiten zu und enthält keine ausdrückliche und eindeutige Anordnung, der sich unmissverständlich entnehmen ließe, dass dem Antragsgegner Kontaktaufnahmen zu seinen Kindern außerhalb der ihm zugewiesenen Umgangszeiten untersagt sind. Auch der nach § 89 Abs. 2 FamFG erforderliche Hinweis auf die Folgen der Zuwiderhandlung gegen die Umgangsregelung erstreckt sich nicht auf ein solches Unterlassungsgebot und kann daher die ihm zugedachte Appellwirkung nicht entfalten (…).“
Zusammenfassung:
- Voraussetzung für die Verhängung eines Ordnungsmittels nach § 89 FamFG ist eine Umgangsregelung mit vollstreckungsfähigem Inhalt, mithin eine nach Art, Ort und Zeit erschöpfende, hinreichend bestimmte und konkrete Regelung des Umgangsrechts.
- Einer Umgangsregelung, durch die der Umgang auf einen bestimmten Rhythmus festgelegt wird oder dem umgangsberechtigten Elternteil bestimmte Umgangszeiten zugewiesen werden, ist nicht mit für eine Vollstreckung hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass sich der Umgangsberechtigte eines Umgangs mit dem Kind in der übrigen Zeit zu enthalten hat. Ein solches Gebot muss sich stets ausdrücklich und eindeutig aus der Umgangsregelung ergeben und von dem nach § 89 II FamFG zu erteilenden Hinweis umfasst sein, um taugliche Grundlage für die Anordnung eines Ordnungsmittels zu sein.