Prüfung der allgemeinen Adoptionseignung
OVG Bremen 28.08.2024 – 2 LB 199/24
Aus dem Sachverhalt:
Die Bet. streiten im Berufungsverfahren um eine Verpflichtung der Bekl. zur Feststellung der allgemeinen Adoptionseignung der Kl. für eine Auslandsadoption nach § 7b AdVermiG.
Die 1971 geborene Kl., die von den Philippinen stammt, und der 1979 geborene Kl. sind seit 2014 miteinander verheiratet und leben zusammen in B. Der Kl. leidet an einer „leichten kognitiven Störung“, einer Lernstörung und einer „leichten motorischen Funktionsstörung“. Die Kl. leidet an Diabetes mellitus Typ 2, arterieller Hypertonie und chronischer Niereninsuffizienz. Die Kl. haben ungewollt keine Kinder.
Am […] kam auf den Philippinen der Sohn der Nichte der Kl., A, zur Welt. Die Mutter erklärte, kein Interesse an dem Kind zu haben, und regte dessen Adoption durch die Kl. an. Das Kind lebt derzeit auf den Philippinen bei einer Großtante und einem Onkel.
Am 24.10.2017 beantragten die Kl. bei der Adoptionsvermittlungsstelle des X, dem Jugendamt der Bekl., die Feststellung ihrer Adoptionseignung in Bezug auf das Kind. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 1.11.2018 abgelehnt; der Widerspruch der Kl. wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27.3.2019 als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kl. haben am 18.4.2019 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und ursprünglich die Aufhebung des Bescheids vom 1.11.2018 und des Widerspruchsbescheids vom 27.3.2019 sowie die Verurteilung der Bekl. zur Feststellung ihrer Adoptionseignung beantragt. Mit Schriftsatz vom 15.5.2019 hat die Bekl. die vorgenannten Bescheide aufgehoben, weil diese sich nicht ausreichend mit dem Vorbringen der Kl. auseinandersetzten. Mit Schriftsatz vom 20.11.2019 teilte die Bekl. dem Verwaltungsgericht mit, das Jugendamt „lehn[e] eine Eignungsprüfung mit dem Hinweis ab, die beiden Mitarbeiterinnen der Adoptionsstelle seien befangen, eine Vertretung sei nicht gewährleistet und die Kläger mögen sich an die GZA [= Gemeinsame Zentrale Adoptionsstelle] H wenden“. Am 2.11.2021 wies das Verwaltungsgericht darauf hin, dass das AdVermiG in der Neufassung von 2021 bei internationalen Verfahren eine zweistufige Eignungsprüfung vorsehe, für deren erste Stufe die Bekl. zuständig sei, während die GZA erst auf der zweiten Stufe tätig werde. Daraufhin wurde das Eignungsprüfungsverfahren durch das Jugendamt der Bekl. ab 11.11.2021 fortgesetzt. Parallel dazu holte die GZA im Vorgriff auf die zweite Stufe der Eignungsprüfung ein Sachverständigengutachten ein. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, „dass bei [den Klägern] eine Eignung zur Betreuung, Versorgung, Erziehung und Förderung eines Adoptivkindes von den Philippinen gegeben“ sei. Mit Bescheid vom 20.12.2022 lehnte das Jugendamt der Bekl. den Antrag auf Feststellung der Adoptionseignung erneut ab. Mit Schriftsatz vom 11.1.2023 haben die Kl. diesen Bescheid in das Klageverfahren einbezogen. Bezüglich der ursprünglich angefochtenen Bescheide haben die Bet. das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt. (…)
Aus den Gründen:
„(…) Nach Auffassung der bisherigen (erstinstanzlichen) Rechtsprechung und der Kommentarliteratur ist eine kombinierte Anfechtungs- und allgemeine Leistungsklage zu erheben. Denn nur die Ablehnung der allgemeinen Adoptionseignung (§ 7b AdVermiG) sei Verwaltungsakt, während es sich bei einem die allgemeine Adoptionseignung bejahenden Eignungsbericht um schlichtes Verwaltungshandeln handle (…).
Aus Sicht des erkennenden Gerichts spricht jedoch viel dafür, dass die Mitteilung des positiven Ergebnisses der allgemeinen Eignungsprüfung an die Adoptionsbewerber (§ 7b Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 Satz 2 AdVermiG) ein Verwaltungsakt ist, der durch den entsprechenden Bericht an die Auslandsvermittlungsstelle (der den Bewerbern nicht ausgehändigt werden darf, § 7b Abs. 2 Satz 2 i.V. § 7 Abs. 3 Satz 3 AdVermiG) vollzogen wird.
Gegen die herrschende Meinung spricht zum Einen, dass die Rechtsqualität der Entscheidung einer Behörde über einen Antrag üblicherweise nicht davon abhängt, ob sie positiv oder negativ ausfällt.
Die Mitteilung des positiven Ergebnisses der allgemeinen Eignungsprüfung dürfte alle Voraussetzungen eines Verwaltungsakts nach § 31 Satz 1 SGB X erfüllen: Sie ist eine Entscheidung, die eine Behörde (das Jugendamt als örtliche Adoptionsvermittlungsstelle, § 9b AdVermiG) in Bezug auf einen Einzelfall (den antragstellenden Adoptionsbewerber) auf dem Gebiet des öffentlichen (Sozial-)Rechts (§ 68 Nr. 12 SGB I) trifft. Die Regelung mit unmittelbarer Rechtswirkung nach Außen dürfte in der für das weitere Adoptionsvermittlungsverfahren bindenden Bejahung der allgemeinen Adoptionseignung des Bewerbers bestehen. Denn die Auslandsvermittlungsstelle (§ 2a Abs. 4 AdVermiG) darf im weiteren Verfahren nicht mehr von den Beurteilungen der örtlichen Adoptionsvermittlungsstelle zur allgemeinen Adoptionseignung abweichen (…).
Im vorliegenden Fall ist dies aber nicht entscheidungserheblich. Denn die Klage ist sowohl als Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 20.12.2022 in objektiver Klagehäufung mit einer allgemeinen Leistungsklage auf Erstellung eines positiven Berichts nach § 7b Abs. 2 AdVermiG als auch als Verpflichtungsklage in Form einer Versagungsgegenklage gegen die mit Bescheid vom 20.12.2022 abgelehnte Feststellung der allgemeinen Adoptionseignung zulässig und weit überwiegend begründet.
Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen weder als kombinierte Anfechtungs- und allgemeine Leistungsklage noch als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage Bedenken.
Die Klage ist sowohl als kombinierte Anfechtungs- und allgemeine Leistungsklage als auch als Verpflichtungsklage weit überwiegend begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 20.12.2022 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (1.). Die Kläger haben Anspruch auf die positive Feststellung ihrer allgemeinen Adoptionseignung, die Erstellung eines entsprechenden Berichts und dessen Weiterleitung an die GZA Hamburg nach § 7b Abs. 2 AdVermiG (2.). Sie haben allerdings keinen Anspruch darauf, dass der Beklagten dafür schon im Urteil eine Frist von sechs Wochen gesetzt wird; insoweit sind Berufung und Klage unbegründet (3.).
Der Bescheid der Beklagten vom 20.12.2022, mit dem die Feststellung der allgemeinen Eignung der Kläger zur Adoption des auf den Philippinen wohnenden Großneffen der Klägerin, A. , und die Erstellung eines Sozialberichts abgelehnt wurde, ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Insoweit ist das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (…).
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht nur verurteilt, über den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Die Kläger haben einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihre allgemeine Eignung zur Adoption des Kindes feststellt, einen entsprechenden Bericht verfasst und diesen an die GZA Hamburg weiterleitet.
Nach § 2c Abs. 1, § 7b Abs. 1 Satz 1 AdVermiG erfolgt auf Antrag der Adoptionsbewerber eine Prüfung der allgemeinen Eignung zur Adoption eines Kindes mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland durch eine örtliche Adoptionsvermittlungsstelle, hier durch das Jugendamt der Beklagten (§ 9b AdVermiG) (im Folgenden: Prüfung der allgemeinen Adoptionseignung; erste Stufe). Das Ergebnis der Eignungsprüfung ist den Adoptionsbewerbern mitzuteilen (§ 7b Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 Satz 2 AdVermiG). Ferner verfasst die örtliche Adoptionsvermittlungsstelle über das Ergebnis ihrer Eignungsprüfung einen Bericht, den sie einer zur internationalen Adoptionsvermittlung befugten Stelle (§ 2a Abs. 4 AdVermiG), hier der GZA Hamburg, zuleitet (§ 7b Abs. 2 Satz 1 AdVermiG). Anschließend führt die internationale Adoptionsvermittlungsstelle die sogenannte länderspezifische Eignungsprüfung durch (§ 2c Abs. 1, § 7c AdVermiG; zweite Stufe). Soweit nicht ein Adoptionsverbot oder das Fehlen einer geeigneten Fachstelle im Heimatland des Kindes (§ 2c Abs. 2 AdVermiG) der Durchführung eines internationalen Adoptionsverfahrens entgegensteht, vermittelt § 7b Abs. 1 Satz 1 AdVermiG den Adoptionsbewerbern einen Rechtsanspruch (…).
Die Adoptionsvermittlungsstelle hat bei der Eignungsprüfung einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum. Der gerichtlichen Kontrolle unterliegt nur, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, die Adressaten dabei hinreichend beteiligt hat, ob sachfremde Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sind sowie ob fachliche Maßstäbe beachtet worden sind und die Entscheidung der Behörde im Ergebnis fachlich vertretbar und nachvollziehbar ist (…). Eine Verurteilung des Rechtsträgers der örtlichen Adoptionsvermittlungsstelle zur positiven Feststellung der allgemeinen Adoptionseignung und Erstellung eines entsprechenden Berichts kommt daher nur ausnahmsweise in Betracht, wenn nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) feststeht, dass keine andere Entscheidung der Vermittlungsstelle als die Bejahung der allgemeinen Adoptionseignung rechtmäßig wäre, wenn also mit anderen Worten jede andere Entscheidung eine fehlerhafte Ausübung des Beurteilungsspielraums wäre (…).
Es steht zur Überzeugung des Berichterstatters fest, dass jede andere Entscheidung als die positive Feststellung der allgemeinen Adoptionseignung der Kläger eine fehlerhafte Ausübung des Beurteilungsspielraums durch die Beklagte wäre.
Die Eignung von Adoptionsbewerbern im Sinne des § 7 Abs. 1, Abs. 3 AdVermiG ist vor dem Hintergrund der Voraussetzungen des § 1741 BGB zu beurteilen und zu bejahen, wenn die Annahme dem Wohl des Kindes dient und zu erwarten ist, dass zwischen den Annehmenden und dem Kind eine Eltern-Kind-Beziehung entsteht (…). Die Kriterien der allgemeinen Eignungsprüfung nach § 7b AdVermiG sind der Sache nach dieselben wie bei der Prüfung der Eignung zur Inlandsadoption (§ 7 AdVermiG), so dass insbesondere die in § 7 Abs. 2 AdVermiG aufgezählten Aspekte (persönliche und familiäre Umstände der Adoptionsbewerber, Gesundheitszustand der Adoptionsbewerber, soziales Umfeld der Adoptionsbewerber, Beweggründe der Adoptionsbewerber für die Adoption, Eigenschaften der Kinder, für die zu sorgen die Adoptionsbewerber fähig und bereit sind) zu berücksichtigen sind (….). Als Anwendungs- und Auslegungshilfe können die Empfehlungen zur Adoptionsvermittlung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (…) herangezogen werden, da sie anerkannte fachliche Standards wiedergeben (…). Schon aus begründeten Zweifeln an der Eignung kann sich ein negatives Ergebnis ergeben (…).
Im vorliegenden Fall steht zur Überzeugung des Berichterstatters fest, dass die Beklagte bei einer erneuten Entscheidung nicht in nachvollziehbarer, fachlich vertretbarer und von sachfremden Erwägungen freier Weise begründete Zweifel an der allgemeinen Adoptionseignung der Kläger feststellen könnte. Dies ergibt sich aus dem kumulativen Zusammentreffen der folgenden besonderen Umstände des Einzelfalls: Die Beklagte hat in zwei Eignungsfeststellungsverfahren die allgemeine Adoptionseignung der Kläger umfassend geprüft. Dabei wurden alle nach § 7 Abs. 2 AdVermiG bzw. den BAGLJÄ-Empfehlungen relevanten Aspekte untersucht. Dennoch hat die Beklagte in ihren bisherigen Ablehnungsbescheiden keinen nachvollziehbaren Grund benennen können, der gegen die allgemeine Adoptionseignung spricht. Dagegen ist ein von einer anderen staatlichen Adoptionsvermittlungsstelle eingeholtes psychologisches Sachverständigengutachten nach ebenfalls umfassender Prüfung zu dem eindeutigen Ergebnis gelangt, dass die allgemeine Adoptionseignung der Kläger zu bejahen ist. Prüft man die Kriterien des § 7 Abs. 2 AdVermiG und die in Ziff. 8.5.2 der BAGLJÄ-Empfehlungen aufgezählten Aspekte unter Berücksichtigung der beiden aufgehobenen Ablehnungsbescheide, des Sachverständigengutachtens und des übrigen Akteninhalts, so besteht kein Zweifel, dass die allgemeine Adoptionseignung der Kläger in Bezug auf das vorliegend streitgegenständliche Kind bejaht werden muss.
Ein auf Veranlassung der GZA Hamburg, einer staatlichen Adoptionsvermittlungsstelle nach § 2a Abs. 4 AdVermiG, erstelltes psychologisches Sachverständigengutachten hat die Kläger eindeutig als geeignet zur Aufnahme des Kindes beurteilt (vgl. S. 25 ff. des Gutachtens). Diese Feststellung bezieht sich auch auf die allgemeine Adoptionseignung nach § 7b AdVermiG (…).
Zusammenfassung:
- Es spricht viel dafür, dass nicht nur die Mitteilung, die allgemeine Adoptionseignung sei nicht gegeben, sondern auch die Mitteilung eines positiven Ergebnisses der allgemeinen Eignungsprüfung an die Adoptionsbewerber Verwaltungsakt ist.
- Die Adoptionsvermittlungsstelle hat bei der Eignungsprüfung einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum. Eine Verurteilung zur positiven Feststellung der Adoptionseignung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn feststeht, dass jede andere Entscheidung eine fehlerhafte Ausübung des Beurteilungsspielraums wäre. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn die beklagte Adoptionsvermittlungsstelle in mehreren umfangreichen Ablehnungsbescheiden keinen nachvollziehbaren Grund, der gegen die Adoptionseignung spricht, benannt hat, während ein von einer anderen staatlichen Adoptionsvermittlungsstelle veranlasstes Sachverständigengutachten die Adoptionseignung überzeugend bejaht.
- Von Adoptionsbewerbern darf nicht verlangt werden, dass sie sämtliche Verhaltensweisen der Kindseltern – einschließlich solcher, die kindeswohlgefährdend sind – positiv bewerten.
- Die Anforderungen an Adoptionsbewerber, die sich gerade daraus ergeben, dass das Kind aus dem Ausland stammt, sind ausschließlich von der Auslandsvermittlungsstelle bei der länderspezifischen Eignungsprüfung zu prüfen.
- Deutschkenntnisse auf dem Niveau B 1 sind für eine Adoptionsbewerberin jedenfalls dann ausreichend, wenn sie zusätzlich eine in Deutschland weit verbreitete Fremdsprache (hier: Englisch) gut spricht und der Ehepartner Deutsch als Muttersprache spricht. Eine generelle Anforderung an Adoptionsbewerber nach Deutschkenntnissen auf dem Niveau B 2 oder höher ist rechtlich nicht zulässig.
- Die Adoption eines Kindes aus dem Ausland darf nicht ausschließlich dazu dienen, die materielle Situation des Kindes oder seine Ausbildungs- und Zukunftschancen zu verbessern.