Vertretungsbefugnis der verheirateten Eltern beim Wechselmodell
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 18.07.2024 -6 UF 119/24-
Aus dem Sachverhalt:
Die Bet. zu 2 (im Folgenden Kindesvater) und zu 3 (im Folgenden Kindesmutter) streiten im Verfahren nach § 1628 BGB um die Vertretungsbefugnis ihrer 2009 geborenen Tochter bei der gerichtlichen Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen. Die noch verheirateten Kindeseltern lebten mit ihren beiden Töchtern zunächst in Frankreich. Im September 2022 zog der Kindesvater mit dem betroffenen Kind nach Deutschland. Die Kindesmutter blieb mit der älteren Tochter, die zwischenzeitlich volljährig ist, in Frankreich, damit diese dort noch das Abitur ablegen konnte. Seit spätestens Januar 2023 leben die Kindeseltern getrennt. Das Scheidungsverfahren ist zwischenzeitlich bei dem AG anhängig. Seit März/April 2023 stand der Kindesmutter eine Wohnung in D. zur Verfügung. Spätestens seit Juni 2023 wohnt und arbeitet die Kindesmutter in D. Spätestens seit Dezember 2023 wechselt die gemeinsame Tochter wöchentlich zwischen den Haushalten der Eltern und wird dann von dem jeweiligen Elternteil versorgt und betreut. Gemeldet ist die Tochter weiter am Wohnsitz des Kindesvaters. Beide Eltern sind berufstätig. Die Kindesmutter hat ein monatliches Nettoeinkommen von ca. 2.530 EUR und der Kindesvater von ca. 5.685 EUR.
Mit Schreiben vom 16.8.2023 forderte die Kindesmutter den Kindesvater zur Erteilung einer Auskunft über seine monatlichen Einkünfte auf und verlangte die Zahlung von 469 EUR Kindesunterhalt für das betroffene Kind. Der Kindesvater forderte daraufhin auch die Kindesmutter zur Erteilung von Auskünften zwecks Berechnung ihres Unterhaltsanteils auf. Das FamG hat der Kindesmutter auf ihren Antrag in einem einstweiligen Anordnungsverfahren durch Beschluss vom 11.12.2023 einstweilen die Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt übertragen. Den Widerantrag des Kindesvaters hat es zurückgewiesen. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde hat der Senat wegen Fristversäumnis als unzulässig verworfen. Auf Antrag des Kindesvaters hat das AG der Kindesmutter nach § 52 II FamFG eine Frist von einem Monat ab 20.2.2024 zur Beantragung der Einleitung des Hauptsacheverfahrens gestellt. Mit Schriftsatz vom 19.3.2024 hat die Kindesmutter den Antrag auf Einleitung des Hauptsacheverfahrens gestellt verbunden mit dem Antrag, den Beschluss vom 11.12.2023 aufrechtzuerhalten.
Die Kindesmutter hat erstinstanzlich beantragt, ihr gem. § 1628 BGB die Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt für dasgemeinsame Kind K allein zu übertragen mit der Maßgabe, dass die Übertragung rückwirkend bereits ab August 2023 wirkt. Der Kindesvater hat beantragt, den Antrag als verspätet zurückzuweisen, weil er nicht innerhalb der Frist des § 52 II FamFG wirksam eingereicht worden sei, da die erforderliche qualifizierte elektronische Signatur gefehlt habe und weitere Formerfordernisse nicht eingehalten worden seien. Der Antrag sei auch unbegründet, weil im August 2023 jedenfalls noch kein paritätisches Wechselmodell bestanden habe. Er sei trotz des aktuell gelebten 50/50-Modells der Auffassung, dass er mehr tue als die Kindesmutter und einen größeren finanziellen Aufwand trage.
Das AG – FamG – Darmstadt (Beschl. v. 7.5.2024 – 51 F 548/24 SO, BeckRS 2024, 19970) hat die alleinige Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt für die gemeinsame Tochter der Kindesmutter übertragen. Gegen die Entscheidung hat der Kindesvater Beschwerde erhoben mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses den Antrag der Kindesmutter abzuweisen, und dem Hilfsantrag, ihm die Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt für das betroffene Kind zur alleinigen Ausübung zu übertragen. Der Kindesvater moniert auch weiterhin die fehlende Wirksamkeit des das vorliegende Hauptsachverfahren einleitenden Schriftsatzes. Die Beschwerde und der Hilfsantrag blieben erfolglos.
Aus den Gründen:
„(…) Das AG hat der Ast. zu Recht und mit zutreffender Begründung die Alleinentscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen der gemeinsamen Tochter K übertragen.
Die Beschwerde irrt in der Annahme, dass der verfahrenseinleitende Antrag der Ast. unzulässig ist.
Die Entscheidung des AG ist auch materiell nicht zu beanstanden. Nach § 1628 S. 1 BGB kann das FamG, wenn sich die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Das AG hat zutreffend ausgeführt, dass die Eltern sich über die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen auf Kindesunterhalt nicht einigen konnten und die Geltendmachung von Kindesunterhalt eine einzelne Angelegenheit von erheblicher Bedeutung (…) für das Kind ist.
Entgegen der Auffassung der Beschwerde musste das AG weder einen Ergänzungspfleger bestellen noch war die Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt entbehrlich.
Betreuen verheiratete Eltern ihr Kind im Wege eines paritätischen Wechselmodells, fehlt es an der alleinigen Vertretungsbefugnis eines von beiden Elternteilen iSv § 1629 II 2 BGB für die Durchsetzung von Barunterhaltsansprüchen des gemeinsamen Kindes, weil es an der alleinigen Obhut eines Elternteils fehlt. Anders verhält es sich nach der geänderten Rechtsprechung des BGH nur bei nicht miteinander verheirateten Elternteilen, die im Fall des Wechselmodells beide hinsichtlich des gegen den jeweils anderen Elternteil gerichteten Unterhaltsteilanspruchs vertretungsbefugt sind, weil der bei einem Elternteil verwirklichte Ausschlussgrund nicht zugleich auch zum Ausschluss der Vertretung des vom Ausschlussgrund nicht betroffenen Elternteils führt. Einer Bestellung eines Ergänzungspflegers oder einer Entscheidung nach § 1628 BGB bedarf es hier nicht (…). Sind die Eltern hingegen verheiratet, muss derjenige Elternteil, der den anderen für barunterhaltspflichtig hält und dies gerichtlich klären lassen will, nach wie vor entweder die Bestellung eines Ergänzungspflegers für das Kind herbeiführen, der dieses bei der Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs vertritt, oder beim FamG beantragen, ihm gem. § 1628 BGB die Entscheidung zur Geltendmachung von Kindesunterhalt alleine zu übertragen, weil beide verheiratete Eltern von der Vertretung des minderjährigen Kindes ausgeschlossen sind (§ 1629 II 1, § 1824 I Nr. 1 und Nr. 3 BGB).
Zwischen diesen beiden Möglichkeiten besteht grundsätzlich ein Wahlrecht (…), wobei die Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis auf einen Elternteil vorzugswürdig ist (…). Nicht gefolgt werden kann vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BGH dem OLG Stuttgart (…) mit seiner einschränkenden Auslegung von § 1628 BGB und Bevorzugung der Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft gem. § 1809 BGB. Ebenso wenig überzeugt die Auffassung, die Vertretungsbefugnis beider Eltern könne bei einem paritätischen Wechselmodell aus § 1629 III BGB bzw. § 1629 III BGB analog hergeleitet werden (…). Denn § 1629 III 1 BGB ergänzt § 1629 II 2 BGB (…) und regelt lediglich, dass der gem. § 1629 II 2 BGB vertretungsberechtigte Ehegatte Unterhaltsansprüche des Kindes nur als Verfahrensstandschafter im eigenen Namen geltend machen darf. Die Auffassung steht zudem nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH, der zuletzt noch in seiner Entscheidung vom 10.4.2024 (NJW 2024, 2176) ausdrücklich auf den Vertretungsausschluss beider Eltern bei einem Rechtsstreit zwischen dem Kind und dem Ehegatten des Elternteils hingewiesen hat. Schließlich rechtfertigen auch die unter Bezugnahme auf die beiderseitige Barunterhaltspflicht von dem Ag. pauschal vorgetragenen Interessensgegensätze keine Zurückweisung des Antrags der Kindesmutter. Ähnliche Interessensgegensätze nimmt die unterhaltsrechtliche Praxis üblicherweise hin, ohne dass sie in abstrakter Form Anlass zu einem Eingriff in die elterliche Sorge über § 1629 II 3 iVm § 1789 II BGB geben würden (…). Einen konkreten Interessenskonflikt hat die Beschwerde weder aufgezeigt noch ist ein solcher erkennbar. Das AG hat seine Entscheidung nach den aufgezeigten Maßstäben zu Recht auf § 1628 BGB gestützt und nicht auf § 1809 BGB, weil die Ast. das ihr zustehende Wahlrecht zugunsten einer Entscheidung nach § 1628 BGB ausgeübt hat, kein konkreter Interessenkonflikt besteht und auch § 1629 III BGB eine Entscheidung nicht entbehrlich macht. Ein von der Beschwerde monierter Vertretungskonflikt der Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter im Unterhaltsverfahren ist für vorliegendes Verfahren unerheblich. Ein solcher Konflikt liegt bereits deshalb nicht vor, weil die Verfahrensbevollmächtigte lediglich die Kindesmutter vertritt, die den Kindesunterhalt gem. § 1629 III BGB als Verfahrensstandschafterin im eigenen Namen geltend zu machen hat.
Das AG ist auch mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass die Beteiligten ein paritätisches Wechselmodell praktizieren und kein Elternteil die alleinige Obhut der gemeinsamen Tochter iSv § 1629 II 2 BGB ausübt. Der dem Jugendhilferecht entlehnte Obhutsbegriff knüpft an die tatsächlichen Betreuungsverhältnisse an (…). Ein Kind befindet sich in der Obhut desjenigen Elternteils, bei dem der Schwerpunkt der tatsächlichen Fürsorge und Betreuung liegt, der mithin die elementaren Lebensbedingungen des Kindes nach Pflege, Verköstigung, Kleidung, ordnender Gestaltung des Tagesablaufs und ständig abrufbereiter emotionaler Zuwendung vorrangig befriedigt oder sicherstellt (…). Die Abgrenzung zwischen Residenz- und Wechselmodell findet nach zeitlichen Kriterien statt (…) und hängt davon ab, ob ein Überwiegen der tatsächlichen Betreuungszeit bei einem Elternteil feststellbar ist oder nicht (…).
Nach diesen Maßstäben wird die gemeinsame Tochter im paritätischen Wechselmodell betreut. Es kann kein Überwiegen der tatsächlichen Betreuungszeit eines Elternteils festgestellt werden. K hat in der gerichtlichen Anhörung bekundet, dass sie im Wechsel eine Woche bei der Kindesmutter und eine Woche beim Kindesvater verbringt. Beide Eltern haben das in der mündlichen Verhandlung vor dem AG bestätigt. Insbesondere der Kindesvater hat eingeräumt, dass das Kind sich zu 50 % bei ihm und zu 50 % bei der Kindesmutter aufhält. Das AG hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass es für die Beurteilung der Frage der Obhut unbeachtlich ist, an welchen Wohnort das Kind sich emotional mehr gebunden fühlt, etwa weil dort auch die ältere Schwester lebt. Dasselbe gilt für das von dem Kindesvater angeführte Argument, die Schulfreundinnen der Tochter würden diese im Haushalt des Kindesvaters verorten. Auch die Behauptung des Kindesvaters, er würde den gesamten Barbedarf der Tochter decken bzw. er trage finanziell den größeren Aufwand und seine Meinung, dass er trotz des Modells mehr tue, etwa Termine bei Ärzten ausmache, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Denn diese Umstände ändern nichts daran, dass K in gleich langen Phasen bei dem einen und dem anderen Elternteil lebt. Der unsubstanziierte Vortrag des Kindesvaters kann die Indizwirkung des Zeitfaktors (…) nicht widerlegen. Der Umstand, dass die gemeinsame Tochter weiter beim Kindesvater gemeldet ist, hat ebenfalls keine Bedeutung. Das AG führt hierzu zutreffend aus, dass das Kind nach dem Meldegesetz nur einen Hauptwohnsitz haben kann (§ 21 I BMG) und dass der melderechtliche Wohnsitz keine Aussage darüber trifft, welcher Elternteil die überwiegende Obhut ausübt.
Es ist nicht zu beanstanden, dass das AG die Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung des Kindesunterhalts auf die Kindesmutter allein übertragen hat. Nach § 1697a I BGB trifft das Gericht die Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht (…). Wenn bei einer Betreuung im paritätischen Wechselmodell kein Elternteil seine Unterhaltspflicht gem. § 1606 III 2 BGB allein durch Betreuung erfüllt, steht dem Kind gegen beide Eltern ein Barunterhaltsanspruch zu, der sich nach dem gemeinsamen Elterneinkommen bemisst und für den die Eltern gem. § 1606 III 1 BGB anteilig nach Maßgabe ihres den angemessenen Selbstbehalt übersteigenden Einkommens haften (…). Im Ergebnis der Saldierung der beiderseitigen Anteile ergibt sich eine Zahlungsverpflichtung nur eines Elternteils, weil derjenige, der im höheren Maße für den Bedarf des Kindes einzustehen hat, die Hälfte der Differenz zwischen der auf ihn den anderen Elternteil entfallenden Zahlungspflicht als Ausgleichszahlung zu erbringen hat (…). Der Kindesvater ist der bei Weitem leistungsfähigere Elternteil. Sein Einkommen ist mehr als doppelt so hoch wie das der Kindesmutter, so dass davon auszugehen ist, dass er als der leistungsfähigere Elternteil einen höheren Haftungsanteil zu tragen hat und jedenfalls für den laufenden Kindesunterhalt ausgleichspflichtig ist. Die Kindesmutter hat den Kindesunterhalt auch bereits geltend gemacht und das Verfahren läuft noch. Der Kindesvater hat hingegen zu keiner Zeit konkret vorgetragen, Kindesunterhalt gerichtlich geltend machen zu wollen. In dieser Konstellation entspricht es insbesondere angesichts der Einkommensverhältnisse der Eltern dem Wohl der betroffenen Tochter, der Ast. die Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung des Kindesunterhalts zu übertragen. Diese Entscheidungsbefugnis bezieht sich – wie das AG zutreffend ausgeführt hat – auch auf die Geltendmachung von rückständigem Unterhalt. Denn die Vertretungsbefugnis muss als Prozessvoraussetzung zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung im Unterhaltsverfahren und als Prozesshandlungsvoraussetzung im Zeitpunkt der Erhebung der Unterhaltsklage vorliegen (…). Ab wann das Wechselmodell praktiziert wurde, ist deshalb für das vorliegende Verfahren ohne Belang. Die materiell-rechtlichen Fragen, ob laufende und rückständige Kindesunterhaltsansprüche bestehen und wie diese zu berechnen sind, sind im Unterhaltsverfahren zu klären. Dort wird auch der Zeitpunkt des Beginns des paritätischen Wechselmodells von Bedeutung sein. Denn solange der Schwerpunkt der Betreuung beim Kindesvater lag, war dieser, soweit kein anderer Haftungstatbestand eingreift, nicht barunterhaltspflichtig, weil er seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, gem. § 1606 III 2 BGB durch die Pflege und Erziehung der Tochter erfüllt hat.
Der Hilfsantrag des Kindesvaters, ihm die Alleinentscheidungsbefugnis zu übertragen, war nach den obigen Ausführungen zurückzuweisen.“
Zusammenfassung
- Wird ein minderjähriges Kind von seinen miteinander verheirateten Eltern im Wechselmodell betreut, so bedarf es auch nach der Entscheidung des BGH vom 10.4.2024 (NJW 2024, 2176) für die Geltendmachung des Kindesunterhalts der vorherigen Bestellung eines Ergänzungspflegers oder der teilweisen Übertragung des Sorgerechts nach § 1628 BGB.
- § 1629 III BGB ist hier nicht analog anzuwenden