Vereinfachtes Unterhaltsfestsetzungsverfahren und Wechselmodell
OLG Nürnberg 4.12.2017 – 7 WF 1144/17
Vorbemerkung:
Das vereinfachte Verfahren gibt dem minderjährigen Kind getrennt lebender – verheirateter oder nicht verheirateter – Eltern die Möglichkeit, über seinen Unterhaltsanspruch gegen den Elternteil, der nicht mit ihm zusammenlebt, rasch und kostengünstig einen Vollstreckungstitel zu erwirken. Besteht schon ein Unterhaltstitel oder ist ein gerichtliches Verfahren anhängig, kann das vereinfachte Verfahren nicht genutzt werden.
Zuständig für das vereinfachte Verfahren ist das Amtsgericht-Familiengericht, in dessen Bezirk das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Antragsformulare sind beim Jugendamt oder bei jedem Amtsgericht erhältlich.
Um zu klären, ob das vereinfachte Verfahren im konkreten Fall geeignet ist, ist es ratsam, sich an einen Rechtsanwalt oder an das Jugendamt wenden. Gesetzliche Aufgabe des letzteren ist es unter anderem, alleinerziehende Mütter und Väter bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen für das Kind kostenfrei zu beraten und zu unterstützen.
In dem Verfahren setzt das Gericht – funktionell zuständig ist der Rechtspfleger – den Unterhalt auf Antrag des Kindes oder des Elternteils, der den Unterhalt für das Kind geltend macht, in einem Beschluss fest. Aus dem Beschluss kann die Zwangsvollstreckung betrieben werden, wenn der Unterhalt nicht oder nicht pünktlich gezahlt wird.
Das Kind oder der Elternteil, der die Festsetzung des Unterhalts für das Kind beantragt, wird in dem Verfahren als Antragsteller bzw. Antragstellerin (Ast) bezeichnet, der auf Unterhaltszahlung in Anspruch genommene Elternteil als Antragsgegner oder Antragsgegnerin (Ag).
Aus dem Sachverhalt:
Der Ag ist der Vater des am […] geborenen ASt.
Mit Schreiben vom 31.5.2017 beantragte das Jugendamt der Stadt X als Beistand des ASt beim AG N, den vom Ag an seinen Sohn zu zahlenden Mindestunterhalt im vereinfachten Verfahren nach §§ 249 ff FamFG festzusetzen.
Der ASt hat von der ihm hierzu eingeräumten Möglichkeit der Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.
Mit Beschluss vom 4.8.2017 setzte das Amtsgericht den vom Ag an den ASt ab 1.7.2017 zu zahlenden monatlichen Unterhalt im Wesentlichen antragsgemäß fest.
Gegen diesen ihm am 10.8.2017 zugestellten Beschluss hat der Ag mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 8.9.2017, eingegangen beim AG N am selben Tag, Beschwerde eingelegt, mit der er eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung dahingehend anstrebt, dass der Antrag, ihn zur Zahlung von Unterhalt zu verpflichten, zurückgewiesen wird. Er beantragt ferner die Einstellung der Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung. Er begründet seine Beschwerde u.a. damit, dass der ASt ganz überwiegend in seinem Haushalt lebe und auch von ihm – im Hinblick auf die Schichtarbeit seiner geschiedenen Ehefrau – persönlich betreut werde. Der ASt esse bei ihm zu Abend, verbringe den Abend dort, schlafe in seinem Haushalt, frühstücke mit ihm und gehe von dort aus werktäglich zur Schule. Die Wochenenden verbringe er abwechselnd bei ihm und bei der Mutter. Da der ASt somit seinen überwiegenden Lebensmittelpunkt bei ihm habe, richte sich der Anspruch auf Leistung des Barunterhalts nicht gegen ihn, sondern gegen die Mutter des ASt. Ferner sei er hinsichtlich des Unterhalts auch nicht leistungsfähig. Außerdem habe er in dem Zeitraum 1.12.2016 bis 30.6.2017 monatlich 200 EUR Kindesunterhalt an die Mutter bezahlt.
Der ASt beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, weil die vorgebrachten Einwände teilweise unbegründet und teilweise unzulässig seien. Der Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens über den Unterhalt Minderjähriger stehe nicht entgegen, dass der ASt im Haushalt des Ag überwiegend lebe. Dies sei vielmehr unrichtig. Er habe seinen Lebensmittelpunkt bei seiner Mutter und lebe auch ganz überwiegend dort. Der Ag vergesse insbesondere zu erwähnen, dass die Mutter nach den Zeiten, in denen sie Spät- bzw Nachtschicht leiste, anschließend ganze sechs Tage frei habe und sich dann um den ASt kümmere. Der Einwand der fehlenden Leistungsfähigkeit sowie der der teilweisen Erfüllung stellten im Beschwerdeverfahren keine gem. § 256 FamFG zu berücksichtigende Einwendungen dar, weil diese nicht schon vor dem Amtsgericht erhoben worden seien.
Die Beschwerde war erfolgreich.
Aus den Gründen:
„(…) Die zulässige Beschwerde des Ag ist begründet und führt zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und der Zurückweisung des Antrags auf Festsetzung des Unterhalts im vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger.
Die Beschwerde des Ag ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.“
Zunächst führt das OLG zu der Frage aus, ob der Ag seine Beschwerde auf eine zulässige Einwendung stützen konnte. Dies richtet sich nach § 256 FamFG.
„Insbesondere stützt der Ag seine Beschwerde auf eine nach § 256 S. 1 FamFG zulässige Einwendung. Nach dieser Vorschrift können u.a. Einwendungen gegen die Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens über den Unterhalt Minderjähriger nach §§ 249 ff FamFG mit der Beschwerde geltend gemacht
werden. Das vereinfachte Verfahren ist nach § 249 Abs. 1 FamFG nur dann statthaft, wenn das minderjährige Kind mit dem in Anspruch genommenen Elternteil nicht in einem Haushalt lebt. Lebt ein Kind im Haushalt eines Elternteils, so erfüllt dieser seine Unterhaltspflicht idR schon durch die Pflege und Erziehung des Kindes (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB) und schuldet diesem keine Unterhaltsrente. Es kommt auch in Betracht, dass beide Eltern ihren Unterhalt teilweise durch Pflege und Erziehung leisten. Soweit sie daneben auch noch Barunterhalt schulden, kann dieser nicht im vereinfachten Verfahren festgesetzt werden (…).“
Sodann erörtert das Gericht, dass der Ag mit Erfolg neue Tatsachen vortragen konnte, die zu einer Unzulässigkeit der Unterhaltsfestsetzung im vereinfachten Verfahren führten. Danach genügt eine substanziierte, d.h. mit konkreten Tatsachen untermauerte, Behauptung, dass der Unterhaltsberechtigte (auch) im Haushalt des auf Barunterhalt in Anspruch genommenen lebe:
„Die Einwendung des Ag gegen die Zulässigkeit der Unterhaltsfestsetzung im vereinfachten Verfahren ist auch begründet.
Da die Beschwerde auf neue Tatsachen gestützt werden kann (§ 65 Abs. 3 FamFG), kann der Ag die mangelnde Zulässigkeit des vereinfachten Unterhaltsverfahrens im Beschwerdeverfahren rügen, obwohl er im erstinstanzlichen Anhörungsverfahren keine entsprechende Einwendung nach § 252 Abs. 1 FamFG erhoben hatte.
Eine Einwendung gegen die Zulässigkeit der Unterhaltsfestsetzung im vereinfachten Unterhaltsverfahren ist idR schon dann begründet, wenn der Tatsachenvortrag, auf den sie gestützt wird, schlüssig und damit erheblich ist; eine umfassende Prüfungspflicht des Rechtspflegers einschließlich einer Beweisaufnahme besteht nicht (…).
Der Ag hat hier jedenfalls schlüssig und hinreichend substanziiert behauptet, dass sein Sohn auch von ihm selbst in seinem Haushalt umfangreich betreut werde, dort sogar seinen Lebensmittelpunkt habe und er ihm somit Unterhalt durch Pflege und Erziehung im eigenen Haushalt gewähre. Auch wenn der ASt diese Behauptungen bestritten hat, führt somit schon dieser Sachvortrag des Ag zur Unzulässigkeit
der Unterhaltsfestsetzung im vereinfachten Verfahren. Ob und inwieweit sich die behauptete Betreuung auch hinreichend wird feststellen lassen, ist als Frage der materiellen Begründetheit des Unterhaltsanspruchs ggf im streitigen Verfahren zu klären.
Werden nach § 256 S. 1 FamFG begründete Einwendungen im Beschwerdeverfahren erhoben, die die Unzulässigkeit des vereinfachten Unterhaltsverfahrens betreffen, ist der Festsetzungsbeschluss aufzuheben (…) und der Antrag auf Unterhaltsfestsetzung im vereinfachten Verfahren nach § 252 Abs. 1 S. 2 FamFG zurückzuweisen. Es ist nicht nach § 254 FamFG zu verfahren, da diese Vorschrift nur zur Anwendung kommt, wenn Einwendungen nach § 252 Abs. 2–4 FamFG geltend gemacht werden, jedoch dann nicht, wenn, wie im vorliegenden Verfahren, die Unzulässigkeit des vereinfachten Unterhaltsverfahrens nach § 252 Abs. 1 FamFG gerügt wird (…).“
Zusammenfassung:
- Das vereinfachte Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger ist nicht zulässig, wenn der Unterhaltsschuldner schlüssig darlegt, dass das Kind mit ihm in einem Haushalt lebt.
- Bei der Betreuung eines Kindes im sog. Wechselmodell ist das vereinfachte Verfahren daher nie statthaft.
- Der Unterhaltsschuldner kann sich auf diesen Einwand im Beschwerdeverfahren auch dann berufen, wenn er ihn im erstinstanzlichen Verfahren nicht geltend gemacht hat.
- Wird der Einwand der Unzulässigkeit schlüssig erhoben, so sind der erstinstanzliche Festsetzungsbeschluss aufzuheben und der Antrag des Unterhaltsgläubigers zurückzuweisen.