Aufenthaltsbestimmungsrecht und Fortführung des Wechselmodells
OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 9.2.2021 – 6 UF 172/20
Zum Sachverhalt:
Die Bet. zu 3 und 4 sind die miteinander verheirateten Eltern des 2016 geborenen Kindes. Sie leben seit Juli 2018 dauerhaft voneinander getrennt, nachdem sich die Kindesmutter einem neuen Mann zugewendet hat, welcher in Brandenburg lebt. Sie ist inzwischen dorthin verzogen. Sie beabsichtigte dabei, die gemeinsame Tochter an ihren neuen Wohnort mitzunehmen, was der in Südhessen wohnhafte Kindesvater ablehnte, da er befürchtete, dass seine Beziehung zu dem Kind beeinträchtigt werden könnte. Das AG Lampertheim übertrug im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Regelung von Kindergartenangelegenheiten vorläufig auf den Kindesvater.
Im hiesigen Verfahren begehrten beide Eltern das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind. Mit Beschluss vom 30.4.2019 erhob das AG Beweis durch Einholung eines kinder- und familienpsychologischen Sachverständigengutachtens unter anderem zur Frage der Erziehungsfähigkeit und Eignung der Kindeseltern. Die Kindeseltern waren in der Zeit der Begutachtung und im Anschluss an die Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren dazu imstande, die Betreuung des Kindes einvernehmlich zu regeln, und praktizierten mit Eintritt der Corona-Pandemie ein paritätisches Wechselmodell im zweiwöchigen Rhythmus, wobei das Kind an beiden Wohnorten im Kindergarten angemeldet ist und dort teilnimmt, soweit die Einrichtungen geöffnet haben. Der Kindesvater begehrte die Fortführung des Wechselmodells auch für die Zukunft und hat die Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich beantragt. Die Kindesmutter möchte das Wechselmodell nicht fortsetzen und beantragte ihrerseits die Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts mit dem Ziel, dass der Lebensmittelpunkt des Kindes in ihren neuen Haushalt in Brandenburg verlagert wird.
Das Amtsgericht hat das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Kindesvater übertragen mit der Maßgabe, dass ein paritätisches Wechselmodell hinsichtlich der Betreuung zwischen den Eltern gelebt wird. Mit ihrer Beschwerde machte die Kindesmutter geltend, dass ein Wechselmodell lediglich umgangsrechtlich und nicht sorgerechtlich begründet werden könne. Im Übrigen diene ein Wechselmodell nicht dem Wohl von X. Das Kind sei durch den Besuch zweier Kindergärten und die damit verbundene hohe Anpassungsleistung überfordert. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
II. (…) Das AG hat dem Kindesvater zu Recht gem. § 1671 Absatz 1 2 Nummer 2 BGB das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht zu dem Zweck übertragen, dass hinsichtlich der Betreuung des Kindes durch beide Elternteile ein Wechselmodell durchgeführt wird.
Entgegen der Ansicht der Bf. kann ein Wechselmodell nicht nur umgangsrechtlich (…) begründet werden, sondern jedenfalls in der Weise auch sorgerechtlich angeordnet werden, dass demjenigen Elternteil, der das Wechselmodell durchsetzen möchte, das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht zugewiesen wird, wenn eine paritätische Betreuung dem Kindeswohl am besten entspricht (…). Es kann insoweit offenbleiben, ob ein Wechselmodell auch in der Art und Weise begründet werden kann, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht jeweils temporär zugewiesen wird, wie dies in der Literatur zum Teil vertreten wird (…), aber wohl mehrheitlich derzeit abgelehnt wird (…), da entsprechende wechselseitige Anträge nicht gestellt worden sind.
Leben Eltern nicht nur vorübergehend getrennt und steht ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zu, so kann nach § 1671 Absatz I 1 BGB jeder Elternteil beantragen, dass ihm das FamG die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. Nach Satz 2 Nr. 2 ist dem Antrag stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Ast. dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
Soweit beide Elternteile das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind beanspruchen, kann es insoweit bei einem fehlenden Konsens nicht bei dem gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrecht verbleiben, sondern es ist zwingend einem Elternteil zur alleinigen Ausübung zu übertragen.
Stellen beide Elternteile Anträge nach § 1671 Absatz 1 2 Nummer 2 BGB, so hat eine doppelte Kindeswohlprüfung dahin zu erfolgen, dass das FamG die Überzeugung gewinnen muss, dass es dem Kindeswohl am besten entspricht, wenn die gemeinsame elterliche Sorge insoweit aufgehoben und die elterliche Sorge einem von beiden Elternteilen allein übertragen wird.
Maßgebliche Sorgerechtskriterien sind insoweit der Grundsatz der Kontinuität, der Förderungsgrundsatz, die Bindungen des Kindes sowie ein etwaiger zu beachtender Wille des Kindes (…). Dabei sind diese verschiedenen Kriterien in ihrer Gesamtschau zu gewichten und dahin abzuwägen, was dem Kindeswohl im Einzelfall am besten entspricht.
Um insoweit eine hinreichende Entscheidungsgrundlage zu gewinnen, hat das AG sich zu Recht der Hilfe eines familienpsychologischen Sachverständigen bedient, welcher in nachvollziehbarer Weise aus psychologischer Sicht die vorgenannten Kindeswohlkriterien ermittelt und gegeneinander abgewogen hat. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf das vorbezeichnete schriftliche Sachverständigengutachten. Zwar weist die Bf. zu Recht darauf hin, dass der Sachverständige ursprünglich in seinem schriftlichen Gutachten aufgrund einer von ihm festgestellten ausgeprägteren Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter befürwortet hatte, dass X künftig ihren Lebensmittelpunkt im Haushalt der Kindesmutter haben sollte. Diese Empfehlung hat der Sachverständige jedoch im Laufe des Verfahrens auch vor dem Hintergrund, dass die Kindeseltern zunächst einvernehmlich ein Wechselmodell praktiziert hatten, dahin relativiert, dass er angesichts der besonders ausgeprägten Kommunikations- und Kooperationsbasis der Kindeseltern bei gleichzeitig gewährleisteter Betreuung von X bei Aufenthalt beim jeweiligen Elternteils mit Blick auf das Kindeswohl keine Aspekte sehen konnte, die gegen ein Wechselmodell sprechen würden, und dass es sich nach seiner Einschätzung wohlmöglich zumindest derzeit sogar um die einzige deeskalierende Entscheidung, die die Eltern treffen könnten, handelt. Das Kind profitiere dabei in besonderer Weise von der Deeskalation auf der Elternebene und auf diese Art und Weise würden auch die unzweifelhaft großen Ressourcen, die bei beiden Kindeseltern bestehen, aufrechterhalten werden können. Auch mit Blick auf X sei diese aufgrund ihrer Ressourcen dazu imstande, die erforderliche Anpassungsleistung eines Wechsels alle zwei Wochen zu bewältigen.
Der Senat teilt diese Einschätzung jedenfalls für derzeit bis zur Einschulung des Kindes. Die von der Bf. geltend gemachten Gründe für eine Beendigung des Wechselmodells zum gegenwärtigen Zeitpunkt finden keine hinreichenden Grundlagen in den familiengerichtlichen Ermittlungen.
So kann etwa dem Bericht der Kindertagesstätte in (…) vom 4.9.2020 entnommen werden, dass sich X dort gut eingelebt hat und es ihr auch gut gelingt, den Übergang von ihrer Mutter zu ihrem Vater zu bewältigen. Sie komme auch nach der Zeit, die sie bei ihrer Mutter in Brandenburg verbringt, ohne große Probleme oder eine Übergangsphase im dortigen Kindergarten an. Entgegen der Behauptung der Beschwerde spricht sich auch der für das Kind bestellte Verfahrensbeistand nicht für die Beendigung des Wechselmodells zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus. Auch nach ihrer Einschätzung sei X in beiden Kindergärten gut angekommen und in die Kindergruppen gut integriert. X habe sich insgesamt gut auf den Wechsel eingestellt und die Eltern würden durch ihre Kommunikation und Kooperation hinreichend gut dazu beitragen, dass X die Situation insgesamt gut bewältigen kann.
Die besonderen Voraussetzungen für eine paritätische Kinderbetreuung im Sinne des Wechselmodells (…) liegen derzeit vor. Beide Eltern besitzen erhöhte Kooperations- und Kommunikationsfähigkeiten, welche sie im Sinne des Kindeswohls einsetzen und beide sind dazu imstande, etwaige Probleme auf der Paarebene zurückzustellen. X besitzt, wie sowohl der Sachverständige als auch der Verfahrensbeistand festgestellt haben, sehr gute und sichere Bindungen zu beiden Elternteilen. An die örtliche Umgebung im Haushalt des Kindesvaters war sie bereits gewöhnt, gleichwohl ist es ihr auch gelungen, sich im neuen örtlichen und sozialen Umfeld der Mutter einzufinden. (…)
Eine paritätische Kinderbetreuung kann jedenfalls so lange fortgeführt werden, bis es zur Einschulung von X kommen wird. Erst zu diesem Zeitpunkt wird es erforderlich sein, eine Zuweisung des Aufenthaltsbestimmungsrecht an einen Elternteil allein vorzunehmen, bei dem das Kind seinen regelmäßigen Aufenthalt haben wird, da es nicht möglich sein wird, X an zwei verschiedenen Orten einzuschulen. Bis diese Entscheidung zu treffen ist, entspricht es dem Wohl von X am besten, wenn es bei der zuletzt praktizierten Betreuungsregelung bleibt. (…)
Zusammenfassung:
- Streiten gemeinsam sorgeberechtigte Eltern nach der Trennung um den Aufenthalt des Kindes und haben beide Anträge nach § 1671 Absatz I BGB gestellt, so kann ein Wechselmodell auch sorgerechtlich derart angeordnet werden, dass einem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zum Zwecke der Herstellung bzw. – wie hier – der Fortführung eines Wechselmodells übertragen wird, wenn diese Betreuungsform dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
- In Ausnahmefällen kann jedenfalls bei noch nicht eingeschulten Kindern ein Wechselmodell auch bei weiter Entfernung der Elternwohnsitze (hier Südhessen und Brandenburg) angeordnet werden, wenn erhöhte Kooperations- und Kommunikationsfähigkeiten der Eltern bestehen, das Wechselmodell zur Deeskalation des Elternkonflikts beiträgt und das Kind dazu imstande ist, sich entsprechend anzupassen.