Nichtraucherschutz in der Justizvollzugsanstalt
BayObLG, Beschl. v. 18.11.2020 − 204 StObWs 385/20
Zum Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer – ein Nichtraucher – war Strafgefangener in der JVA N. Er war der JVA N zugeführt worden. In der Zugangsabteilung der JVA war er drei Tage lang in einem Gemeinschaftshaftraum mit zwei Rauchern untergebracht, da laut Angaben der JVA sogenannte Neuzugänge im Rahmen der Suizidprophylaxe unmittelbar nach der Inhaftierung in einem Gemeinschaftsraum untergebracht werden, so dass eine Einzelunterbringung nicht möglich gewesen sei, und keine weiteren – für eine Zusammenlegung mit ihm geeignete, neu zugegangene Nichtraucher zur Verfügung gestanden hätten.
Mit Schreiben vom 30.5.2020 stellte er einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit dem Ziel der Feststellung, dass die Zuweisung einer Raucherzelle durch die JVA N rechtswidrig gewesen sei.
Die StVK des LG Nürnberg-Fürth wies den Antrag zurück, da kein Feststellungsinteresse gem. § 115 Abs. 3 iVm § 112 Nummer 5 SVVollzG gegeben sei.
In der Unterbringung des Antragstellers in einem Gemeinschaftsraum mit zwei rauchenden Mitgefangenen sah die StVK keine anhaltende Wirkung der Maßnahme oder spätere nachteilige Auswirkungen im Sinne eines schutzwürdigen Interesses. Auch eine konkrete Wiederholungsgefahr sei nicht gegeben, da der Antragsteller von N in die JVA A verlegt worden sei und derzeit keine Umstände bekannt seien, die eine Rückverlegung in naher Zukunft begründen könnten oder dass dieser im Falle einer Rückverlegung wieder mit Nichtrauchern (gemeint: Rauchern) untergebracht werde. Darüber hinaus fehle das notwendige Rechtsschutzbedürfnis. Der Antragsteller habe seit mehr als einem Jahr die Möglichkeit gehabt, sich gegen die erfolgte Maßnahme zu wenden. Die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen dringt mit der Sachrüge durch.
Aus den Gründen:
„1. Die Rechtsbeschwerde hat mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung (…) und, da die Sache spruchreif ist (…), zur Feststellung, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers als Nichtraucher nach seiner Aufnahme in die JVA N in einem Gemeinschaftshaftraum mit zwei rauchenden Mitgefangenen rechtswidrig war.
Nach Art. 58 Abs. 3 BayStVollzG ist der Schutz der Nichtraucher, soweit es bauliche und organisatorische Maßnahmen ermöglichen, zu gewährleisten. Gem. Art. 3 Abs. 1 S. 1 des (Bayerischen) Gesetzes zum Schutz der Gesundheit (GSG) vom 23.7.2010 (GVBl. 314) ist das Rauchen in Innenräumen der in Art. 2 GSG bezeichneten Gebäude, das sind gem. Art. Artikel 2 Nummer 1 lit. b GSG Gebäude der Behörden des Freistaats Bayern, verboten.
Nach Art. 5 Nummer 1, Art. 6 Absatz 1 S. 1 und Art. 6 Absatz 2 S. 2 GSG kann die Anstaltsleitung das Rauchen in Einzel-, Gemeinschaftshafträumen und anderen Gemeinschaftsräumen gestatten (…).
Nach der Rspr. des BVerfG greift angesichts der nicht auszuschließenden gesundheitsgefährdenden Wirkungen des Passivrauchens (…) die gemeinschaftliche Unterbringung eines nichtrauchenden Gefangenen mit einem rauchenden Mitgefangenen – jedenfalls wenn der Betroffene ihr nicht in gesicherter vollkommener Freiwilligkeit zustimmt – in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 S. 1 GG) ein.
Der nichtrauchende Gefangene hat Anspruch auf Schutz vor Gefährdung und erheblicher Belästigung durch das Rauchen von Mitgefangenen und Aufsichtspersonal (…).
Dies zugrunde gelegt sind vorliegend die Rechte des Antragstellers verletzt worden.
Ein Rechtsschutzinteresse des Antragstellers ist gegeben.
Ein Rechtsschutzinteresse besteht trotz Erledigung unter anderem dann fort, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann. (…)
Ein derartiger Fall liegt hier bereits deshalb vor, weil der Beschwerdeführer innerhalb der drei Tage dauernden Unterbringung in einem Gemeinschaftshaftraum gerichtlichen Rechtsschutz nicht hätte erlangen können. (…)
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin kommt dem Umstand, dass der Antragsteller während seiner Unterbringung vom 16.2.2019 bis zum 19.2.2019 keine Verlegung in einen Nichtraucherhaftraum beantragt hat, keine Bedeutung zu. Wie das BVerfG zutreffend ausgeführt hat, kann die Durchsetzung von auf den Schutz von Nichtrauchern zielenden Geboten (vgl. Art. 58 Abs. 3 BayStVollzG und Art. 2 Nr. 1, Art. 3 Abs.1 GSG) schon im Hinblick darauf, dass der nichtrauchende Gefangene sich damit der Gefahr von Repressalien seitens der Mitgefangenen aussetzen würde, nicht ihm – sei es auch auf dem Weg über auf Verbotsdurchsetzung zielende Beschwerden an die Anstalt – überlassen bleiben. Vielmehr muss die Anstalt durch geeignete, von Beschwerden des betroffenen Nichtrauchers unabhängige Vorkehrungen für eine systematische Durchsetzung des gesetzlichen Verbots sorgen (…).
Vielmehr bestand ein Handlungsauftrag für die JVA, den Antragsteller als Nichtraucher vor schädlichem Passivrauchen zu schützen.
Die Begründung der JVA für eine Zusammenlegung des Antragstellers mit rauchenden Mitgefangenen rechtfertigt eine Beeinträchtigung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (…) nicht. Die JVA führt insoweit an, dass im Zugangsverfahren neuinhaftierter Gefangener der vollzugliche Schwerpunkt unter anderem auf der Suizidprävention liege und diese deshalb unmittelbar nach der Inhaftierung in einem Gemeinschaftsraum untergebracht würden. Da keine weiteren – für eine Zusammenlegung mit ihm geeignete – Neuzugänge im Zeitraum vom 15.2.2019 bis 19.2.2019 zur Verfügung gestanden hätten, habe der Antragsteller mit zwei Rauchern untergebracht werden müssen.
Die Suizidprophylaxe rechtfertigt nicht die Unterbringung des Antragstellers mit Rauchern, auch wenn eine Zusammenlegung mit Nichtrauchern mangels entsprechender Neuzugänge nicht möglich gewesen sein sollte.
Der Schutz der Nichtraucher vor Passivrauchen ist umfassend zu gewährleisten. Er reicht über die gemeinsame Zellenunterbringung (Gegenstand obiger Entscheidung des BVerfG) hinaus (…).
So ist der Nichtraucherschutz etwa auch in Fernsehgemeinschaftsräumen (…), etwa des Krankenreviers (…) zu gewährleisten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Gefangenen aufgrund des Freiheitsentzuges nicht in gleicher Weise wie freie Bürger Beeinträchtigungen ihrer Gesundheit begegnen können (…). Nach heutigem Kenntnisstand ist gesichert und allgemein anerkannt, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist, Krebs sowie Herz- und Gefäßkrankheiten verursacht, damit zu tödlichen Krankheiten führt und auch die Gesundheit der nicht rauchenden Mitmenschen gefährdet (…).
Demgemäß war der Nichtraucherschutz auch in der Zugangsabteilung zu gewährleisten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die Gefangenen dort für einen nicht nur unerheblichen Zeitraum aufhalten, was bei einer dreitägigen Unterbringung zweifellos der Fall ist (…).“
Zusammenfassung:
- Der Nichtraucherschutz ist auch in der Zugangsabteilung der Justizvollzugsanstalt bei Unterbringung der „Neuzugänge“ in Gemeinschaftshafträumen zu gewährleisten.
- Die Suizidprophylaxe rechtfertigt nicht die Unterbringung des neu zugegangenen Strafgefangenen mit Rauchern, auch wenn eine Zusammenlegung mit Nichtrauchern mangels entsprechender Neuzugänge nicht möglich gewesen sein sollte.