Zum rechtlichen Gehör und zur Darlegungslast für das Aushandeln von Vertragsbedingungen
BGH, Beschluss vom 19.3.2019 – XI ZR 9/18
Aus dem Sachverhalt
Die Kl. begehrt von der beklagten Sparkasse Rückzahlung einer im Rahmen eines Darlehensvertrags entrichteten Bearbeitungsgebühr. Sie plante den Bau eines Mehrfamilienhauses und stand hinsichtlich der Finanzierung dieses Bauvorhabens mit der Sparkasse in Kontakt. Nach im Einzelnen streitigen Gesprächen der Parteien fasste die Bekl. am 30.8.2011 die Rahmendaten der gewünschten Finanzierung „unter Berücksichtigung Ihrer persönlichen Vorstellungen“ in einem so genannten Term Sheet zusammen. Dort heißt es einleitend:
„Mit diesem Term Sheet stellt die Sparkasse die Rahmendaten der gewünschten Finanzierung unter Berücksichtigung ihres bisherigen Prüfungsergebnisses zusammen. Damit die Finanzierung den Beschlussgremien der Sparkasse korrekt vorgestellt werden kann, teilt der Kreditnehmer kurzfristig eventuell bestehende Änderungswünsche mit; anderenfalls bestätigt der Kreditnehmer mit Gegenzeichnung dieses Term Sheets die korrekte Wiedergabe der Finanzierungsanfrage.“
Darin wird unter anderem ein „Bearbeitungsentgelt einmalig: 3,50 %“ erwähnt, in dem auch die Kosten für Wertgutachten enthalten sein sollten. Weiter ist ein „Bearbeitungsentgelt“ iHv 5000 Euro für den Fall vorgesehen, dass die Finanzierung aus von der beklagten Sparkasse nicht zu vertretenden Gründen nicht zustande kommen sollte. Der Geschäftsführer der Kl. brachte handschriftlich Änderungswünsche zur Person des Generalunternehmers und zu den Verfügungen über das Baukonto auf der Urkunde an und unterzeichnete diese. Am 23.1.2012 schlossen die Parteien einen Darlehensvertrag über einen „Bauzwischenkredit Bauträger“ in laufender Rechnung bis zu einem Höchstbetrag von 1.272.000 Euro, der zunächst mit 7,5 % p. a. zu verzinsen war. In Nr. 4.1 dieses Vertrags findet sich folgender Passus:
„Mit Unterzeichnung des Kreditvertrags wird eine einmalige Bearbeitungsgebühr iHv 44.520 Euro fällig. Die Belastung der Bearbeitungsgebühr erfolgt mit Bereitstellung der Kreditlinie.“
Die Klage auf Rückzahlung hatte weder in der ersten noch in der zweiten Instanz Erfolg. Die nach dem Ergehen des Berufungsurteils erhobene Nichtzulassungsbeschwerde der Kl. hatte Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
Eine Revision in Zivilsachen ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Die Voraussetzungen für die Zulassung sind in § 543 Abs. 2 ZPO abschließend geregelt.
Vorliegend ging der Bundesgerichtshof davon aus, dass eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich war.
„Die Revision ist nach § 543 II 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (…). Das BerGer. hat den Anspruch der Kl. auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es ihren Sachvortrag zu der Frage, ob das im Streit stehende Bearbeitungsentgelt zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt worden ist, nicht in der nach Art. 103 I GG gebotenen Weise berücksichtigt hat. Das angefochtene Urteil ist daher gem. § 544 VII ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das BerGer. zurückzuverweisen.“
Sodann setzte sich das oberste deutsche Zivilgericht mit den Voraussetzungen, unter welchen von einer ausreichenden Gewährung rechtlichen Gehörs ausgegangen werden kann, auseinander:
„Art. 103 I GG verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen (…). Ein Verstoß gegen Art. 103 I GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus (…). Überspannt das Gericht offenkundig Anforderungen an die Substanziierung und versäumt es deshalb, entscheidungserheblichen Sachvortrag in der nach Art. 103 I GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen, ist der verfassungsrechtlich verbürgte Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs evident verletzt (…). Nichts anderes gilt, wenn das BerGer. Vorbringen einer Partei in offensichtlich fehlerhafter Anwendung des § 531 II ZPO nicht zulässt (…).
Nach den allgemeinen Grundsätzen des Zivilprozesses muss jede Partei die für sie günstigen Tatsachen darlegen und im Falle des Bestreitens auch beweisen.
Im vorliegenden Fall kam es in entscheidungserheblicher Weise darauf an, ob die zwischen den Parteien geschlossene Vereinbarung hinsichtlich des Bearbeitungsentgelts als einseitig gestellt und damit als Allgemeine Geschäftsbedingung anzusehen war oder ob von einer im einzelnen ausgehandelten Individualvereinbarung im Sinne von § 305 Abs. 1 S. 3 BGB auszugehen war, mit der Folge, dass das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen insoweit nicht Anwendung fand.
Das Revisionsgericht hat in diesem Zusammenhang eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Berufungsgericht angenommen, da dies den oben dargelegten Grundsatz missachtend offensichtlich davon ausgegangen ist, dass es dem Kläger oblag, das Nichtvorliegen von Verhandlungen bezüglich der streitigen Klausel darzulegen:
„Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 I GG verletzt.
Das BerGer. hat die Anforderungen an die Darlegungslast der Kl. in einem nach Art. 103 I GG bedeutsamen Maße verfehlt, indem es bei der Prüfung, ob es sich bei der angegriffenen Vertragsbedingung um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelte, von der Kl. Vortrag zu den Voraussetzungen des § 305 I 3 BGB verlangt hat, obwohl solcher Vortrag zunächst der Bekl. oblag und von dieser nicht gehalten wurde.
Allgemeine Geschäftsbedingungen liegen nicht vor, soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind (§ 305 I 3 BGB). Aushandeln bedeutet mehr als bloßes Verhandeln. Von einem Aushandeln in diesem Sinne kann nur dann gesprochen werden, wenn der Verwender den in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt, also die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen, inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der effektiven Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Er muss sich also deutlich und ernsthaft zur gewünschten Änderung einzelner Klauseln bereit erklären. Die entsprechenden Umstände hat der Verwender darzulegen. In der Regel schlägt sich das Aushandeln in Änderungen des vorformulierten Textes nieder. Die allgemein geäußerte Bereitschaft, belastende Klauseln abzuändern, genügt nicht (….).
Nach diesen Grundsätzen ist eine Klausel nicht schon dann nach § 305 I 3 BGB ausgehandelt worden, wenn nach Verhandlungen über verschiedene andere Teilaspekte eines Vertrags dort Vertragsbedingungen geändert worden sind. Zwar mögen die Vertragspartner bei solchen Verhandlungen jeweils für sich ihre wirtschaftliche Position als einheitliches Paket beurteilt haben. Das rechtfertigt es aber nicht, eine vom Verwender gestellte, konkret nicht verhandelte und unverändert in den Vertrag übernommene Vertragsbedingung als ausgehandelt anzusehen. Denn das Aushandeln muss sich nach dem Gesetzeswortlaut jeweils auf bestimmte Vertragsbedingungen beziehen („im Einzelnen“) und führt nur in diesem Umfang („soweit“) zur Nichtanwendung der §§ 305 ff. BGB (….).
Zwar ist das BerGer. im Ausgangspunkt von der Darlegungslast der Bekl. ausgegangen. Die Bekl. hat aber bereits nicht behauptet, sie habe sich gegenüber der Kl. deutlich und ernsthaft zur gewünschten Änderung einzelner Klauseln – hier zum Bearbeitungsentgelt – bereit erklärt. Stattdessen hat sie sich lediglich darauf berufen, sie hätte über das Bearbeitungsentgelt dann verhandelt, wenn die Kl. das Entgelt von sich aus hinterfragt hätte. Damit hat die Bekl. nicht dargelegt, dass sie ihre Verhandlungsbereitschaft zu der hier streitigen Klausel deutlich und ernsthaft erklärt hat (…).
Nichts anderes ergibt sich aus der in dem Term Sheet vom 30.8.2011 enthaltenen Passage, wonach „der Kreditnehmer kurzfristig eventuell bestehende Änderungswünsche“ mitteilen solle. Denn auch darin kommt nur die allgemeine Bereitschaft der Bekl. zur Abänderung von Regelungen des Darlehensvertrags zum Ausdruck. Konkrete Anhaltspunkte für die erforderliche deutliche Erklärung der Bekl., sie sei bereit, gerade den gesetzesfernen Kern der hier streitigen Klausel aufzugeben, finden sich im Sachvortrag der Bekl. nicht.
Das BerGer. hat diesen den Voraussetzungen von § 305 I 3 BGB offensichtlich nicht genügenden Vortrag der Bekl. ausreichen lassen und stattdessen von der Kl. konkreten Sachvortrag für das Fehlen von Verhandlungen über die streitige Klausel verlangt.“
(…)
Zusammenfassung:
Auch wenn einzelne Vertragsbedingungen geändert werden, führt dies nicht automatisch dazu, dass eine nicht mit den geänderten Vertragsbedingungen in Zusammenhang stehende Klausel ernsthaft im Sinne von § 305 I § BGB zur Disposition gestellt wird.