Unterschlagung eines Autos während Probefahrt
BGH, Urteil vom 18.9.2020 – V ZR 8/19
Aus dem Sachverhalt
Bei der Kl., die ein Autohaus betreibt, erschien Ende August 2017 ein Mann, der sich für ein als Vorführwagen genutztes Kraftfahrzeug, dessen Wert 52.900 Euro betrug, interessierte und mit diesem eine Probefahrt unternehmen wollte. Er legte einen italienischen Personalausweis, eine Meldebestätigung einer deutschen Stadt und einen italienischen Führerschein vor. Die Unterlagen, die sich später als hochwertige Fälschungen herausstellten, wurden durch einen Mitarbeiter der Kl. kopiert. In einem als „Fahrzeug-Benutzungsvertrag“ bezeichneten Formular wurden die Durchführung einer Probefahrt in dem Zeitraum von 11.30 bis 12.30 Uhr, eine Haftungsreduzierung auf 1.000 Euro sowie eine vorgebliche Mobilfunknummer des Interessenten eingefügt. Ihm wurde für eine unbegleitete Probefahrt ein Fahrzeugschlüssel, das mit einem roten Kennzeichen versehene Fahrzeug, das diesbezügliche Fahrtenbuch und Fahrzeugscheinheft sowie eine Kopie der Zulassungsbescheinigung Teil I ausgehändigt. Die Person kehrte mit dem Fahrzeug nicht mehr zu dem Autohaus zurück.
Im September 2017 wurde die Bekl. in einem Internetverkaufsportal auf das dort von einem Privaten angebotene Fahrzeug aufmerksam. Bei dem telefonisch vereinbarten Treffen am Hauptbahnhof in H. legte der Verkäufer die Zulassungsbescheinigungen Teil I und II vor, die auf seine angeblichen Personalien ausgestellt waren und die die Fahrzeugidentifikationsnummer des Fahrzeugs auswiesen. Die Bescheinigungen waren auf Originalvordrucken, die aus einer Zulassungsstelle gestohlen worden waren, angefertigt. Die Bekl., die die Fälschungen nicht erkannte, schloss mit dem Verkäufer einen Kaufvertrag über das Fahrzeug. Auf seinen Wunsch hin vermerkten sie in dem Vertragsformular anstelle des tatsächlich bar geleisteten Betrags von 46.500 Euro einen Kaufpreis von nur 43.500 Euro, weil der Verkäufer angab, dass dies „besser für seine Arbeit“ sei. Der Bekl. wurden nach Zahlung das Fahrzeug, die Zulassungspapiere, ein passender sowie ein weiterer – nicht dem Fahrzeug zuzuordnender – Schlüssel übergeben. Die zuständige Behörde lehnte eine Zulassung ab, da das Fahrzeug als gestohlen gemeldet war.
Die Klage auf Herausgabe des Fahrzeugs hat das LG Marburg abgewiesen und der Widerklage, mit der die Bekl. die Feststellung ihres Eigentums sowie Herausgabe der Original-Zulassungspapiere und des Zweitschlüssels verlangt, stattgegeben. Auf die Berufung der Kl. hat das OLG Frankfurt a. M der Klage stattgegeben. Die Widerklage hat es bezüglich des Feststellungsantrags als unzulässig, im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Mit der vom OLG zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Kl. beantragte, will die Bekl. die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung erreichen. Die Revision der Bekl. hatte Erfolg.
Aus den Gründen
In dieser hochinteressanten Entscheidung ging es letztlich um die Frage, ob die Beklagte das Fahrzeug gutgläubig gemäß § 932, 935 BGB erworben hat. Dies ist ausgeschlossen, bei einem unfreiwilligen Besitzverlust des unmittelbaren Besitzers, § 935 Abs. 1 S. 1 BGB. Daher kann etwa an einem gestohlenen Auto gutgläubig kein Eigentum erworben werden.
Im vorliegenden Fall hatte der spätere, unbekannte Verkäufer das Fahrzeug ebenfalls durch eine Straftat erlangt. Allerdings hat er insoweit nicht den Gewahrsam des Eigentümers gebrochen, sondern lediglich, nachdem der Eigentümer freiwillig dem Besitz aufgegeben hatte, durch die Nichtrückgabe und die spätere Veräußerung an die Beklagte seine Zueignungsabsicht manifestiert. Das Fahrzeug hat der Verkäufer somit immer noch durch eine Straftat erlangt; allerdings hat hier der Kläger freiwillig den Besitz aufgegeben, was strafrechtlich lediglich eine Unterschlagung, nicht aber einen Diebstahl bedeuten würde.
Dies hatte auch die nachfolgend dargestellten zivilrechtlichen Konsequenzen:
„(…) I. Klage: Das BerGer. hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Kl. steht gegen die Bekl. kein Anspruch nach § BGB § 985 BGB auf Herausgabe des Fahrzeugs zu, weil die Bekl. das Eigentum an diesem gutgläubig erworben hat.
Entgegen der Ansicht des BerGer. besteht das Eigentum der Kl. nicht deshalb fort, weil ihr das Fahrzeug abhandengekommen und daher ein gutgläubiger Erwerb durch die Bekl. ausgeschlossen ist.
Nach § 935 Absatz I 1 BGB tritt ein gutgläubiger Erwerb aufgrund der §§ 932–934 BGB nicht ein, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verlorengegangen oder sonst abhandengekommen war. Der unfreiwillige Besitzverlust entwertet nämlich den unmittelbaren Besitz und die an ihn anknüpfende Eigentumsvermutung (1006 BGB) als Grundlage des gutgläubigen Erwerbs (…). Eine bewegliche Sache kommt ihrem Eigentümer abhanden, wenn dieser den Besitz an ihr unfreiwillig verliert (…). Die Kl. hat ihren unmittelbaren Besitz nicht deshalb unfreiwillig verloren, weil der vermeintliche Kaufinteressent über seine wahren Absichten getäuscht hat. Eine Besitzaufgabe ist nicht unfreiwillig, wenn sie durch Täuschung bestimmt worden ist (…).
Rechtsfehlerfrei geht das BerGer. allerdings davon aus, dass die Kl. die tatsächliche Gewalt über das Fahrzeug bei dessen Überlassung zum Zwecke der Probefahrt nicht nur gelockert, sondern auf den (vermeintlichen) Kaufinteressenten übertragen hat. Die Überlassung eines Kraftfahrzeugs durch den Verkäufer zu einer unbegleiteten und auch nicht anderweitig überwachten Probefahrt eines Kaufinteressenten auf öffentlichen Straßen für eine gewisse Dauer (hier eine Stunde) ist keine Besitzlockerung, sondern führt – weil auch keine Besitzdienerschaft vorliegt – zu einem freiwilligen Besitzverlust.
Der unmittelbare Besitz an einer Sache wird gem. § 854 Absatz I BGB durch die tatsächliche Gewalt über die Sache erworben. In wessen tatsächlicher Herrschaftsgewalt sich die Sache befindet, hängt maßgeblich von der Verkehrsanschauung ab, also von der zusammenfassenden Wertung aller Umstände des jeweiligen Falls entsprechend den Anschauungen des täglichen Lebens (…).
Für die Besitzverhältnisse an einem Kraftfahrzeug kommt es in der Regel darauf an, wer die tatsächliche Sachherrschaft über die Fahrzeugschlüssel ausübt. Die Übergabe eines Schlüssels bewirkt allerdings nur dann einen Besitzübergang, wenn der Übergeber die tatsächliche Gewalt an der Sache willentlich und erkennbar aufgegeben und der Empfänger des Schlüssels sie in gleicher Weise erlangt hat (…). Hieran fehlt es etwa, wenn der Schlüssel zwecks bloßer Besichtigung des Fahrzeugs übergeben wird.
Wird der Schlüssel für eine kurze Probefahrt ausgehändigt, kann dies gegen eine Übertragung des unmittelbaren Besitzes und für eine bloße Besitzlockerung sprechen, weil nur die auf eine gewisse Dauer angelegte Sachherrschaft als Besitz angesehen wird (…). Für eine unbegleitete und auch nicht durch technische Vorrichtungen, die einer Begleitung vergleichbar sind, gesicherte Probefahrt von einer Stunde kann das indessen nicht gelten. Denn in diesem Fall bleibt der Verkäufer weder in einer engen räumlichen Beziehung zu dem Fahrzeug noch ist die Sachherrschaft des Probefahrers so flüchtig, dass ihm die Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache nach der Verkehrsanschauung abzusprechen wäre. Vielmehr kann dieser während der Probefahrt beliebig auf das Fahrzeug einwirken, während dem Verkäufer schon wegen der Distanz, die in einer Stunde zurückgelegt werden kann, jede Kontrolle über das Fahrzeug fehlt. Die Überlassung des Fahrzeugs kann daher nicht mit einer nur kurzfristigen Aushändigung eines Gegenstands zur Ansicht innerhalb der Sphäre des bisherigen Besitzers oder ähnlichen lediglich flüchtigen Sachbeziehungen, die den unmittelbaren Besitz nicht aufheben (…).
Die konkreten Umstände des Einzelfalls rechtfertigen hier keine andere Beurteilung. Die tatrichterliche Würdigung des BerGer., die revisionsrechtlich nur eingeschränkt dahingehend überprüft werden kann, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- oder Erfahrungssätze gewürdigt worden ist (…) ist auch insoweit aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dass das Fahrzeug mit roten Kennzeichen versehen übergeben worden ist, hat das BerGer. in diesem Zusammenhang, wie die Kl. in ihrer Revisionserwiderung zutreffend geltend macht, zwar nicht erörtert.
Indessen ergibt sich aus der Verwendung dieser Kennzeichen nicht zwingend eine andere Beurteilung. Zwar ist richtig, dass Fahrzeuge mit roten Kennzeichen zu Prüfungs-, Probe- oder Überführungsfahrten in Betrieb gesetzt werden. Auch können solche Kennzeichen nach § 16 Absatz II und 16 Absatz III FZV nur bestimmte Berechtigte und nur zu bestimmten Zwecken, insbesondere für Probe- und Überführungsfahrten, verwenden. Gleichwohl kann allein aus deren Verwendung nicht darauf geschlossen werden, dass der jeweilige Fahrzeugführer nicht die unmittelbare Sachherrschaft über das Fahrzeug innehat, sondern entweder nur eine Besitzlockerung oder eine Besitzdienerschaft vorliegt. Gerade bei einer Überführungsfahrt wird häufig eine größere Entfernung überbrückt, wobei durchaus naheliegt, dass mit der Überführung auch externe Personen beauftragt werden, denen der unmittelbare Besitz eingeräumt worden ist. Auch entziehen die erstellten Kopien der Ausweisdokumente des vermeintlichen Kaufinteressenten und die von ihm hinterlegte Mobilfunknummer entgegen der Revisionserwiderung der tatrichterlichen Würdigung des BerGer. nicht ihre Grundlage. Eine faktische Zugriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug während der Probefahrt ergibt sich aus diesen Umständen nicht.
Rechtsfehlerhaft nimmt das BerGer. dagegen an, dass die Kl. trotz Übertragung der unmittelbaren Gewalt über das Fahrzeug an den Kaufinteressenten nach § 855 BGB unmittelbare Besitzerin geblieben ist, weil dieser ihr Besitzdiener sei.
Im Ausgangspunkt geht das BerGer. in Einklang mit der Rechtsprechung des Senats allerdings zutreffend davon aus, dass ein unfreiwilliger Besitzverlust § 935 Absatz I BGB – unter im Einzelnen streitigen Bedingungen – auch durch das eigenmächtige Handeln eines Besitzdieners eintreten kann (…).
Ob ein Kaufinteressent, der eine Probefahrt mit einem Kraftfahrzeug unternimmt, gegebenenfalls in entsprechender Anwendung des § 855 BGB als Besitzdiener des Verkäufers einzuordnen ist, ist streitig.
Eine Ansicht verneint dies, weil es an dem nach § 855 BGB vorausgesetzten sozialen Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem potenziellen Käufer und dem Verkäufer fehle. Dieser habe – jedenfalls wenn die Probefahrt ohne seine Begleitung durchgeführt werde – keine Möglichkeit, auf das Fahrzeug bzw. den Kaufinteressenten einzuwirken (…).
Andere Stimmen differenzieren nach den Umständen des Einzelfalls und nehmen insbesondere bei einer nur kurzzeitigen Probefahrt (20 Minuten) mit roten Kennzeichen und ohne Übergabe von Fahrzeugpapieren eine Besitzdienerschaft an (…).
Wiederum andere nehmen generell eine Besitzdienerschaft an (…). Verwiesen wird dabei darauf, dass § 855 BGB nicht notwendig das Vorliegen eines Abhängigkeits- oder sozialen Über-/Unterordnungsverhältnisses voraussetze, sondern lediglich eine Beziehung, welche den Besitzherrn zur jederzeitigen Weisung bzw. zum Eingreifen, etwa zum Abbruch der Fahrt berechtige (…). Jedenfalls liege in solchen Fällen eine strukturell vergleichbare Situation vor, die eine analoge Anwendung des § BGB § 855 BGB rechtfertige (…). Mit der Gebrauchsüberlassung erhalte der Probefahrer keine eigenen Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich des Besitzes. Ein Leihvertrag werde regelmäßig nicht geschlossen und ein Besitzrecht zugunsten des Interessenten nicht begründet, weil die kurzfristige Überlassung des Fahrzeugs lediglich der Kaufanbahnung diene (…).
Der Senat hat die Frage bisher offengelassen (….). Er entscheidet sie dahin, dass in Fällen wie dem vorliegenden weder eine unmittelbare noch eine entsprechende Anwendung des § 855 BGB in Betracht kommt. Ein Kaufinteressent, der eine Probefahrt mit einem Kraftfahrzeug unternimmt, ist nicht Besitzdiener des Verkäufers. Ist – wie hier – mit der Überlassung des Fahrzeugs keine bloße Besitzlockerung verbunden, liegt daher kein Abhandenkommen § 935 BGB vor, wenn das Fahrzeug nicht zurückgegeben wurde.
Besitzdiener ist nach § BGB § 855 BGB, wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat. Auch für das hier nur in Betracht kommende „ähnliche Verhältnis“ muss ein nach außen erkennbares soziales Abhängigkeitsverhältnis begründet werden, das dem Besitzherrn zumindest faktisch die Möglichkeit gibt, seinen Willen gegenüber dem Besitzdiener durchzusetzen. Besitzdiener ist nicht jeder, der Weisungen des Eigentümers der Sache zu befolgen hat, sondern nur derjenige, demgegenüber der Eigentümer die Einhaltung seiner Weisungen im Nichtbefolgungsfall aufgrund eines Direktionsrechts oder vergleichbarer Befugnisse unmittelbar selbst durchsetzen kann (…). Dies geht nicht nur in eindeutiger Weise aus dem Wortlaut der Vorschrift hervor, sondern auch aus der Gesetzgebungsgeschichte. Die von dem Gesetz genannten Fälle – Ausübung der unmittelbaren Gewalt über die Sache im Haushalt des Besitzherrn oder in dessen Erwerbsgeschäft – machen deutlich, dass das Weisungsrecht seine Grundlage in einem Rechtsverhältnis finden und diesem Rechtsverhältnis das Gepräge geben muss (…). Die sich aus dem Gesetz ergebenden Erfordernisse der Fremdnützigkeit und der Weisungsgebundenheit stehen dabei in einer inneren Abhängigkeit und stellen die Abgrenzungskriterien zu einem Besitzmittlungsverhältnis dar (…). Dies kommt auch in den Protokollen zur zweiten Lesung des BGB zum Ausdruck, in denen ausgeführt ist, dass es immer eines besonderen rechtlichen Umstands bedürfe, kraft dessen der Besitz des einen auf einen anderen bezogen werde. Dieses Rechtsverhältnis sei in § 797 a BGB – dem heutigen § 855 BGB – bezeichnet (…). Das Rechtsverhältnis, das eine Besitzdienerschaft begründet, braucht allgemeiner Meinung nach nicht wirksam sein. Entscheidend ist, dass die Parteien dieses als gültig ansehen (…). An einem solchen sozialen Abhängigkeitsverhältnis fehlt es zwischen einem Kaufinteressenten und dem Verkäufer (…).
Nachdem der BGH auch die Voraussetzungen für eine analoge Anwendbarkeit von § 855 BGB verneint hat, setzt er sich mit den Anforderungen an die Gutgläubigkeit des Erwerbers auseinander:
„(…) Rechtsfehlerfrei nimmt das BerGer. an, dass die Bekl. bei dem Erwerb des Fahrzeugs gutgläubig war.
Bei einer – wie hier – nach § 929 S. 1 BGB erfolgten Übereignung wird der Erwerber auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zu der Zeit, zu der er nach diesen Vorschriften das Eigentum erwerben würde, nicht in gutem Glauben ist (§ 932 Absatz I 1 BGB). Nach § 932 Absatz II BGB ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Unter der hier nur in Betracht kommenden Alternative der groben Fahrlässigkeit wird im Allgemeinen ein Handeln verstanden, bei dem die erforderliche Sorgfalt den gesamten Umständen nach in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (…). Die darauf bezogene tatrichterliche Würdigung kann durch das RevGer. nur darauf überprüft werden, ob der maßgebliche Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt worden ist oder ob Verstöße gegen § 286 ZPO, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze vorliegen (…). Einen solchen Rechtsfehler vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
Das BerGer. legt hinsichtlich der Sorgfaltsanforderungen, die der Erwerber eines gebrauchten Fahrzeugs zu beachten hat, die Rechtsprechung des BGH zugrunde. Danach begründet der Besitz des Fahrzeugs allein nicht den für den Gutglaubenserwerb nach § BGB § 932 BGB erforderlichen Rechtsschein. Vielmehr gehört es regelmäßig zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber den Kraftfahrzeugbrief (§ 25 Absatz IV 2 StVZO aF) bzw. die Zulassungsbescheinigung Teil II (§ 12 Absatz VI FZV) vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Auch wenn der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs und des Briefs ist, kann der Erwerber gleichwohl bösgläubig sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet lässt. Eine allgemeine Nachforschungspflicht des Erwerbers besteht hingegen nicht (…).
Hier hat sich die Bekl. nach den tatrichterlichen Feststellungen die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lassen. Dass diese gefälscht war, konnte sie nach der tatrichterlichen Würdigung des BerGer. nicht erkennen. Soweit die Kl. in der Revisionserwiderung geltend macht, dass das Gericht lediglich die Einschätzung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der hochwertigen Qualität der gefälschten Unterlagen übernommen und insoweit weitere, eigene Feststellungen des BerGer. erforderlich gewesen wären, hat der Senat diese Verfahrensrüge geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 Absatz I 1 ZPO). Das BerGer. verneint auch ohne Rechtsfehler das Vorliegen besonderer Umstände, die eine weitergehende Nachforschungspflicht der Bekl. hätten begründen können. Zwar gebietet der Straßenverkauf im Gebrauchtwagenhandel besondere Vorsicht, weil er erfahrungsgemäß das Risiko der Entdeckung eines gestohlenen Fahrzeugs mindert. Ein Straßenverkauf führt aber als solcher noch nicht zu weitergehenden Nachforschungspflichten, wenn er sich für den Erwerber als nicht weiter auffällig darstellt (..). Letzteres nimmt das BerGer. in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise an. Dem stellt die Kl. lediglich ihre eigene, hiervon abweichende und keineswegs zwingende Würdigung entgegen.
Sodann führt der BGH zu der Widerklage, mit welcher der Beklagte die Herausgabe der Originalzulassungspapiere und des Zweitschlüssels begehrte, aus. Während sein Herausgabeverlangen im Hinblick auf die Papiere erfolgreich war, wurde sein Antrag bezüglich der Zweitschlüssel abgewiesen:
(…) Rechtsfehlerhaft hat das BerGer. den Widerklageantrag auf Herausgabe der Original-Zulassungspapiere abgewiesen. Da die Bekl. das Fahrzeug gutgläubig erworben hat, steht ihr als Fahrzeugeigentümerin ein Anspruch auf Herausgabe der Original-Zulassungsbescheinigungen gegenüber der Kl. nach § 985 Absatz I BGB zu. In (entsprechender) Anwendung des § 952 BGB folgt das Eigentum an den Fahrzeugpapieren dem Eigentum an dem Fahrzeug (…). Ein Recht zum Besitz (§ 986 BGB) steht der Kl. nach dem Verlust des Eigentums an diesen Papieren nicht mehr zu.
Den Widerklageantrag auf Herausgabe des Zweitschlüssels hat das BerGer. im Ergebnis zutreffend abgewiesen. Die Bekl. kann dessen Herausgabe weder nach § BGB § 985 BGB noch aus sonstigem Rechtsgrund von der Kl. verlangen. Das Eigentum an einem Fahrzeugschlüssel folgt nicht dem Eigentum an dem Fahrzeug selbst. Der Schlüssel ist nur Zubehör (§ 97 BGB) – nicht aber Bestandteil (§ 93 BGB) – des Fahrzeugs und kann daher Gegenstand von Sonderrechten sein (…). Mangels Übergabe des Zweitschlüssels konnte die Bekl. das Eigentum an diesem auch nicht gutgläubig nach § 929, BGB § 932 BGB erwerben (…)
Zusammenfassung:
- Ein Kaufinteressent, der eine Probefahrt mit einem Kraftfahrzeug unternimmt, ist nicht Besitzdiener des Verkäufers.
- Die Überlassung eines Kraftfahrzeugs durch den Verkäufer zu einer unbegleiteten und auch nicht anderweitig überwachten Probefahrt eines Kaufinteressenten auf öffentlichen Straßen für eine gewisse Dauer (hier eine Stunde) ist keine Besitzlockerung, sondern führt zu einem freiwilligen Besitzverlust.
- Wird das Fahrzeug in einem solchen Fall nicht zurückgegeben, liegt daher kein Abhandenkommen im Sinne des § BGB § 935 BGB vor.