Mietminderung bei pandemiebedingter Schließung – Update
OLG Hamm, Urt. v. 24.09.2021 – 30 U 114/21
Aus dem Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Mietzahlung aus einem gewerblichen Mietverhältnis in Anspruch. Zwischen den Parteien bestand ein schriftlicher Mietvertrag vom 09.12.2014 über Gewerbeflächen auf dem Grundstück G01 in F. Es handelte sich um Büro- und Werkstatträume sowie eine Hoffläche. Mietzweck war der Ankauf und die Bewertung von Fahrzeugen. Die zu zahlende Miete einschließlich Nebenkostenvorauszahlung und Umsatzsteuer belief sich seit November 2019 auf insgesamt 3.813,85 EUR im Monat.
Aufgrund fristgemäßer Kündigung der Klägerin vom 17.09.2020 ist das Mietverhältnis zum 31.03.2021 beendet und das Mietobjekt von der Beklagten inzwischen auch geräumt worden.
Der Mietvertrag wurde ursprünglich zwischen der C GmbH und & Co. KG auf Vermieterseite und der X Holding GmbH auf Mieterseite abgeschlossen. Die X Holding GmbH hat sich im Jahre 2015 zunächst in die B GmbH umfirmiert. Im Jahr 2020 hat sie sich in die B AG und nunmehr in die B SE umgewandelt.
Die Klägerin ist im Jahre 2017 durch Eigentumserwerb des Grundstückes in das Mietverhältnis auf Vermieterseite eingetreten.
In dem Zeitraum vom 18.03.2020 bis zum 20.04.2020 waren die Geschäftsräume aufgrund der Corona-Schutzverordnung des Landes NRW geschlossen. Für die Monate April bis einschließlich Juni 2020 leistete die Beklagte vor diesem Hintergrund keine Mietzahlungen mehr. Es entstand hiernach rechnerisch ein Zahlungsrückstand von 11.441,55 EUR.
Nachdem die Zahlung der April-Miete ausgeblieben war, mahnte die Klägerin die Zahlung dieser Miete an und berechnete Mahnkosten in Höhe von 5,00 EUR.
Mit Schreiben vom 29.06.2020 forderte die Klägerin die Beklagte schließlich auf, den Zahlungsrückstand insgesamt auszugleichen, und zwar unter Fristsetzung bis zum 13.07.2020. Zugleich verlangte sie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten binnen dieser Frist.
Gegenstand der Klage ist nunmehr die rückständige Miete nebst Zinsen und Mahnkosten.
Aus den Gründen:
Am 14. Januar 2021 habe ich an dieser Stelle über eine Entscheidung des Amtsgerichts Pinneberg berichtet. Das Amtsgericht hatte in einer vergleichbaren Konstellation das Vorliegen eines Mietmangels bejaht. Das OLG Hamm beurteilt die Rechtslage anders:
„Die Mietzahlungsverpflichtung der Beklagten ist unter der Geltung der im Zusammenhang mit dem Pandemiegeschehen ergangenen gesetzlichen Regelungen im Grundsatz erhalten geblieben.
Art. 5 des am 27.03.2020 verabschiedeten Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (COVFAG oder „Covid-19-Gesetz“, BGBl. 2020 I S. 569), in Kraft getreten am 01.04.2020 (dort Art. 6 Abs. 5), begründet nach § 1 (lediglich) die Möglichkeit, die Leistung einstweilen zu verweigern oder einzustellen (…). Ohnehin gelten die – nur Verbraucher und Kleinstunternehmen betreffenden – Regelungen des § 1 ausdrücklich nicht für Miet- und Pachtverträge (§ 1 Abs. 4 Nr. 1, § 2). Der auf dieser Grundlage eingeführte Art. 240 §§ 1-6 EGBGB lässt mithin die Mietzahlungspflicht als solche unberührt. Für Art. 240 § 2 EGBGB, den die Beklagte für sich heranzieht, gilt nichts anderes. Denn die Vorschrift schließt für „coronabedingte“ Mietzahlungsrückstände aus den Monaten April, Mai und Juni 2020 eine darauf zu stützende Vertragskündigung für die Zeit bis zum 30.06.2022 aus. Dem lassen sich eine Aussage über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Höhe der Miete in bestehenden Mietverträgen und ein dahingehender Regelungswille des Gesetzgebers nicht entnehmen (…).
Art. 10 des am 22.12.2020 verabschiedeten Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht (…), in Kraft getreten am 31.12.2020 (dort Art. 14 Abs. 2), ist ausdrücklich als Appell an die Vertragsparteien zu verstehen, in der durch den zweiten Lockdown am 16.12.2020 geschaffenen Situation einvernehmliche Regelungen über die Höhe der Mietzahlungen herbeizuführen (…). Die grundsätzliche Mietzahlungsverpflichtung wird durch den neu geschaffenen § 7 des Art. 240 EGBGB – ungeachtet der Frage der Rückwirkung dieser Vorschrift – daher ebenfalls nicht berührt.
Die Voraussetzungen für eine Minderung der vertraglich geschuldeten Miete für den Monat April 2020 gemäß § 536 Abs. 1 BGB liegen nicht vor, denn die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch war nicht aufgehoben oder nicht nur unerheblich eingeschränkt.
Das Mietobjekt ist nicht wegen der erfolgten öffentlich-rechtlichen Beschränkungen der Nutzung mangelhaft im Sinne des § 536 Abs. 1 BGB. Voraussetzung hierfür ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der Mietsache in Zusammenhang steht (…).
Durch die behördlichen Schließungen und Einschränkungen im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie wurde zwar faktisch der Zugang zu den Mieträumen für potentielle Kunden verhindert oder beschränkt. Betroffen war aber nicht die räumliche Lage und Erreichbarkeit des Mietobjekts, also seine körperliche Beschaffenheit selbst. Auch die Überlassung des Mietobjekts an sich war nicht untersagt. Vielmehr war durch die behördlichen Anordnungen lediglich die Art der Durchführung des Geschäftsbetriebs und des im Mietobjekts stattfindenden Publikumsverkehrs eingeschränkt und geregelt (…).
Der Mietvertrag war auch nicht aufgrund der Schließung bzw. der Betriebseinschränkung von bestimmten Gewerberäumen infolge hoheitlicher Pandemieabwehr gemäß § 134 BGB temporär nichtig (…). Denn Hauptleistungspflicht der Klägerin als Vermieterin war nicht „der Betrieb“ oder die „Überlassung des Betriebs“, sondern die Überlassung eines für den Betrieb geeigneten Mietobjekts, mithin die Verschaffung der Möglichkeit des Gebrauchs zu diesem Zweck. Diese verstößt nicht gegen ein gesetzliches Verbot (…)
Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Miete für den Monat April 2020 ist nicht nach §§ 326 Abs. 1, 275 BGB entfallen.
Gemäß § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf die Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Ist die Hauptleistung in diesem Sinne unmöglich, hat dies gemäß § 326 Abs. 1 BGB zur Folge, dass der Anspruch auf die Gegenleistung entfällt. Ob das allgemeine Leistungsstörungsrecht neben den mietrechtlichen Gewährleistungsregeln anwendbar bleibt, kann dahinstehen, da es vorliegend um nach dem Vertragsschluss auftretende Leistungshindernisse geht, die tatbestandlich nicht als Sach- oder Rechtsmangel qualifizierbar sind (…). Darüber hinaus kommt es auf die Anwendbarkeit der §§ 275, 326 BGB auch deshalb nicht an, weil kein Fall der Unmöglichkeit im Sinne von § 275 BGB vorliegt. Die Hauptleistungspflicht des Vermieters besteht gemäß § 535 Abs. 1 S. 2 BGB darin, dem Mieter das Mietobjekt in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten. Die Klägerin war zur Überlassung der Mieträumlichkeiten und der vermieteten Außenflächen in einem generell zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand verpflichtet. Ihre Leistung ist auch unter Geltung der Covid-19-Pandemievorschriften möglich und mit der Übergabe des Mietobjekts auch erbracht. Nichts anderes ergibt sich für die über die Gebrauchsüberlassungsverpflichtung hinausgehende Erhaltungsverpflichtung, denn auch diese ist von der Klägerin trotz der hoheitlichen Beschränkungen des Betriebs der Beklagten vollständig erbracht worden.
Schließlich kann die Beklagte auch keine Anpassung des Vertrags gemäß § 313 Abs. 1 BGB nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage verlangen.
Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann gemäß § 313 Abs. 1 BGB Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Einer Veränderung der Umstände steht es gemäß § 313 Abs. 2 BGB gleich, wenn sich wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, als falsch herausstellen.
Geschäftsgrundlage sind die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut (…). Es entspricht schon allgemeiner Lebenserfahrung, dass die Vertragsparteien bei Vertragsschluss stillschweigend davon ausgegangen sind, der vorgesehene Betrieb der Beklagten werde nach den gesetzlichen Vorschriften während der Vertragslaufzeit möglich sein. Anhaltspunkte dafür, dass dies im vorliegenden Falle ausnahmsweise anders sein könnte, sind nicht ersichtlich. Zudem wird aber auch nach Art. 240 § 7 Abs. 1 EGBGB gesetzlich vermutet, dass sich ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat, sofern zu gewerblichen Zwecken vermietete Räume infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind.
Danach liegt eine schwerwiegende Störung einer gemeinsamen Geschäftsgrundlage vor. In dem Zeitraum der hoheitlich angeordneten Betriebseinschränkungen konnte ein regulärer Geschäftsbetrieb in den angemieteten Geschäftsräumen und Außenflächen nicht stattfinden. Ein Online-Ankauf von Fahrzeugen unter Einbeziehung der Geschäftsräume hat nach den Darlegungen der Beklagten nicht stattgefunden.
Für eine Berücksichtigung von Störungen der Geschäftsgrundlage ist grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen (…). Eine solche vertragliche Risikoverteilung schließt für den Betroffenen regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf die Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen (…).
Für die in Rede stehende pandemiebedingte Beeinträchtigung enthält der Mietvertrag der Parteien keine ausdrückliche Regelung.
Gesetzlich wird dem Vermieter über § 535 Abs. 1 S. 2 BGB das allgemeine Risiko der Vermietbarkeit und der Möglichkeit, die Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und zu erhalten zugewiesen (…), während in Abgrenzung zum Vermietungsrisiko das Verwendungsrisiko im gewerblichen Mietrecht den Mieter trifft (…). Ob bereits hiernach im vorliegenden Fall eine Vertragsanpassung nach § 313 BGB zu versagen ist, bedarf indes aus nachfolgenden Gründen keiner Entscheidung. Denn die weiteren Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB sind nicht gegeben.
Trotz der gesetzlichen Risikoverteilung kann in Ausnahmefällen eine Anpassung des Vertrages nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage geboten sein. Dabei kann aber nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsabschluss bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse eine Vertragsanpassung rechtfertigen. Hierfür ist vielmehr erforderlich, dass ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt (….). Eine Anpassung des Vertrages muss zur Vermeidung eines untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht (mehr) zu vereinbarenden und damit der betroffenen Partei nach Treu und Glauben nicht zuzumutenden Ergebnisses unabweislich erscheinen. Es muss eine derart gewichtige Störung des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung des Austauschvertrags vorliegen, dass die Grenze des vertraglich übernommenen Risikos überschritten wird und die benachteiligte Vertragspartei in der getroffenen Vereinbarung ihr Interesse nicht mehr auch nur annähernd gewahrt sehen kann (…).
Die Prüfung dieser Voraussetzung erfordert eine umfassende Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände (…), insbesondere auch der Vorteile, die der betroffenen Partei neben den Nachteilen aus den eingetretenen Veränderungen erwachsen sind (…).
Die Angaben der Beklagten zum Ausmaß ihrer wirtschaftlichen Betroffenheit sind nicht ausreichend, um darauf eine Unzumutbarkeit im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB zu stützen.(…)“
Zwar fehlte es vorliegend an einem ausreichenden Vortrag der Beklagten, das OLG hat aber erkennen lassen, dass durchaus eine Anpassung des Vertrages nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage in den Fällen der vorliegenden Art in Betracht kommt.
Zusammenfassung:
- Der Anspruch des Vermieters auf Zahlung der Miete entfällt infolge der Pandemie weiter auch nicht nach §§ 326 Abs. 1, 275 BGB. Der Vermieter schuldet grundsätzlich nur die Überlassung des Mietobjekts in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand. Die Erfüllung dieser Leistung wurde durch die gesetzlichen und tatsächlichen Covid-19-Beschränkungen nicht unmöglich.
- Die Beschränkungen der Covid-19-Pandemie können jedoch nach § 313 BGB ein Recht zur Anpassung des Mietvertrages nach den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage begründen. Erforderlich ist aber, dass das pandemiebedingte Risiko nach dem Mietvertrag nicht einer Vertragspartei (allein) zugewiesen ist und das Festhalten an den vereinbarten Regelungen zumindest für eine Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt. Letzteres wird nicht vermutet, sondern ist konkret darzulegen und aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung festzustellen. Die Annahme einer „pauschalen Mietreduzierung“ um 50% aufgrund der Pandemie ist damit nicht vereinbar.