Verfahrensrüge der Staatsanwaltschaft wegen Verletzung der Mitteilungspflicht
BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22 –
Aus dem Sachverhalt:
Das LG hat den Angekl. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen sowie Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Ferner hat das LG die Einziehung des Wertes von Taterträgen iHv 184.620 EUR und die erweiterte Einziehung sichergestellten Bargelds iHv insgesamt 15.675,62 EUR gegen den Angekl. angeordnet.
Mit ihrer zu Ungunsten des Angekl. eingelegten Revision rügt die StA die Verletzung formellen Rechts und erhebt die ausgeführte allgemeine Sachrüge. Das vom GBA teilweise vertretene Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge nach § 243 Abs. 4 S. 2 StPO Erfolg. Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Am ersten Hauptverhandlungstag wurde die Sitzung nach der Verlesung der Anklageschrift, einer Negativmitteilung nach § 243 Abs. 4 S. 1 StPO, der Belehrung des Angekl. und dessen Erklärung, sich nicht einlassen zu wollen, unterbrochen. Sodann wurde außerhalb der HV unter Beteiligung der Mitglieder der Strafkammer, des Verteidigers und der Vertreterin der StA, jedoch ohne den Angekl., die Möglichkeit einer Verständigung iSd § 257 c StPO erörtert. Bei diesem Gespräch gem. § 212 StPO wurde die Staatsanwältin gebeten, ihre Strafvorstellung zu benennen. Sie schlug einen Verständigungsstrafrahmen von fünf Jahren und sechs Monaten bis sechs Jahre und sechs Monate Gesamtfreiheitsstrafe für den Fall eines vollumfänglichen Geständnisses des Angekl. vor. Der Verteidiger entgegnete, er halte eine Gesamtfreiheitsstrafe von unter fünf Jahren für angemessen. Nachdem das Gespräch für eine Beratung des Gerichts unterbrochen worden war, stellte der Vorsitzende für den Fall eines Geständnisses des Angekl. eine Strafrahmenuntergrenze von vier Jahren und neun Monaten sowie eine Obergrenze von fünf Jahren und sechs Monaten in Aussicht. Er wies zugleich darauf hin, dass die Strafkammer bei einem Geständnis, das der Erwartung des Gerichts entspreche, üblicherweise eine Strafe im unteren Bereich des mitgeteilten Strafrahmens verhänge. Zudem erklärte er, die Strafkammer erachte eine Strafe in der in Aussicht genommenen Größenordnung bei einem Geständnis für schuldangemessen, und zwar unabhängig davon, ob eine förmliche Verständigung mit der StA zustande komme oder nicht. Daraufhin wurde, ohne dass die Gesprächsteilnehmer eine Übereinkunft erzielten, die HV fortgesetzt. Der Vorsitzende unterließ es, das Gespräch und dessen Inhalt in der HV mitzuteilen.
Am zweiten Verhandlungstag, dem 1.10.2021, unterbreitete der Vorsitzende, ohne dass das vorgenannte Gespräch Erwähnung fand, in öffentlicher HV einen Verständigungsvorschlag iSd § 257 c Abs. 3 S. 1 StPO dahin, bei einem Geständnis des Angekl. eine Gesamtfreiheitsstrafe im Bereich von vier Jahren und neun Monaten bis fünf Jahre und sechs Monate zu verhängen. Dabei wies er (erneut) darauf hin, dass die Strafkammer eine Strafe in diesem Rahmen bei einem Geständnis unabhängig davon für schuldangemessen erachte, ob es zu einer Verständigung nach § 257 c StPO komme. Während der Angekl. dem Verständigungsvorschlag zustimmte, lehnte die Vertreterin der StA ihn ab und erklärte, sie halte eine Gesamtfreiheitsstrafe von unter fünf Jahren für unvertretbar. Der Vorsitzende stellte daraufhin fest, dass eine Verständigung nicht zustande gekommen sei. Der gerichtliche Verständigungsvorschlag, die Zustimmung des Angekl., die Ablehnung der StA sowie die Feststellung, dass keine Verständigung zustande gekommen sei, wurden protokolliert. Der Angekl. ließ sich sodann über eine Verteidigererklärung weitgehend geständig ein.
Nach der an weiteren Verhandlungstagen durchgeführten Beweisaufnahme ließ der Vorsitzende protokollieren, „dass Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung gem. § 257 c StPO stattgefunden haben, aber keine Verständigung zustande gekommen ist“. Sodann wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Im Anschluss an die Schlussvorträge und das letzte Wort des Angekl. zog sich die Strafkammer zunächst zur Beratung zurück. Nachdem die Staatsanwältin den Vorsitzenden in einer Beratungspause außerhalb der HV darauf hingewiesen hatte, sie halte die Protokollierung der verständigungsbezogenen Erörterungen für nicht ausreichend, trat die Strafkammer wieder in die Beweisaufnahme ein. Der Vorsitzende teilte ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls mit, „dass es Gespräche gem. § 257 c StPO über eine Verständigung gab, die in den Vorschlag der Kammer vom 1.10.2021 gemündet sind, und dass die StA die Zustimmung nicht erteilt hat, weil sie eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht unter 5 Jahren als angemessen angesehen hat“.
Aus den Gründen:
„Die Verfahrensrüge ist (jedenfalls auch) dahin auszulegen, dass es der Vorsitzende entgegen § 243 Abs. 4 S. 2 StPO unterlassen habe, die auf eine Verständigung gerichteten Erörterungen, die am ersten Hauptverhandlungstag außerhalb der öffentlichen Sitzung ohne den Angekl. stattgefunden hätten, rechtzeitig und im gebotenen Umfang mitzuteilen. So verstanden, ist sie zulässig und begründet.
a) Zwar bemängelt die StA an mehreren Stellen ihrer Revisionsbegründung, der Inhalt außerhalb der HV geführter verständigungsbezogener Gespräche sei nur unzureichend protokolliert worden; auch beanstandet sie eine „Verletzung von § 273 Abs. 1 a S. 1 und 2 iVm § 243 Abs. 4 S. 1 und 2 StPO“ und moniert, das Gericht habe „gegen die Protokollierungspflicht verstoßen“. Die unzutreffende oder ungenügende Protokollierung solcher Gespräche kann indes nicht mit der Revision gerügt werden (….). Dies gilt auch deshalb, weil nicht der Inhalt von Gesprächen außerhalb der HV, sondern die gem. § 243 Abs. 4 StPO gebotene Mitteilung des Vorsitzenden über solche Gespräche in der HV und der Inhalt dieser Mitteilung nach § 273 Abs. 1 a S. 1 und 2 StPO im Protokoll festzuhalten sind (…).
Indes lässt sich anderen Passagen der Revisionsbegründungschrift entnehmen, dass die StA der Sache nach beanstandet, der Vorsitzende habe entgegen § 243 Abs. 4 S. 2 StPO in der HV nicht bzw. nicht hinreichend über außerhalb dieser stattgefundene verständigungsbezogene Erörterungen Mitteilung gemacht; dies werde durch das Hauptverhandlungsprotokoll belegt. Ausdrücklich wird bemängelt, über das am Rande des ersten Hauptverhandlungstages geführte Verständigungsgespräch sei nur ungenügend unterrichtet worden. Damit rügt die StA statthaft einen Verstoß gegen § 243 Abs. 4 S. 2 StPO (…).
b) Der Verfahrensrüge steht die Vorschrift des § 339 StPO nicht entgegen (…). Zudem kann die StA Verstöße gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO in Bezug auf außerhalb der HV geführte verständigungsbezogene Gespräche auch dann zu Lasten des Angekl. rügen, wenn sie – wie hier – an den Erörterungen beteiligt war und damit kein Informationsdefizit hat (…).
aa) Allerdings ist die StA in einer solchen Konstellation nicht in ihrem Recht auf Informationsteilhabe betroffen; dies gilt unabhängig davon, ob der Sitzungsvertreter personenidentisch mit dem StA ist, der an der betreffenden Erörterung teilnahm. Denn die StA als solche muss sich das Wissen ihrer Mitarbeiter zurechnen lassen (…).
Gleichwohl ist § 339 StPO unanwendbar und steht der StA eine Rügebefugnis zu. Dies liegt darin begründet, dass die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO nicht allein den Verteidigungsbelangen des Angekl. und damit seinem Schutz dient, sondern zudem – auch im Interesse der StA – bezweckt, die Öffentlichkeit und Transparenz des Verständigungsverfahrens zu gewährleisten (…).
Die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO gehört zu den vom Gesetzgeber zur Absicherung des Verständigungsverfahrens normierten Transparenz- und Dokumentationsregeln, durch die gewährleistet werden soll, dass Erörterungen nach §§ 202 a, 212 StPO mit dem Ziel einer Verständigung stets in öffentlicher HV zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung strafprozessualer Grundsätze kein Raum verbleibt (…).
Die Mitteilungspflicht verfolgt zwar zum einen den Zweck, den Angekl., der an Verständigungsgesprächen nicht teilgenommen hat, durch eine umfassende Unterrichtung über die wesentlichen Gesprächsinhalte seitens des Gerichts in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte autonome Entscheidung über sein Verteidigungsverhalten zu treffen (…). Zum anderen aber sollen die Transparenz- und Dokumentationspflichten des § 243 Abs. 4 StPO eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens nicht nur durch die StA, sondern auch durch die Öffentlichkeit und das Rechtsmittelgericht ermöglichen (…).
In ihrer „Wächterfunktion“ hat die StA die Aufgabe, für die Gewährleistung der effektiven Kontrolle eines Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit Sorge zu tragen (…). Dies bedingt, dass sie unabhängig von einer eigenen unmittelbaren Beschwer im engen Sinne, also losgelöst von einem etwaigen eigenen Informationsdefizit, befugt ist, Rechtsfehler im Zusammenhang mit der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO in der Revision zu rügen (…).
bb) Aus den vorgenannten Gründen ist eine Revision der StA, die (allein) einen Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO in Bezug auf außerhalb der HV stattgefundene verständigungsbezogene Erörterungen rügt, an denen sie, nicht indes der Angekl. beteiligt war, nicht schon wegen des bei ihr nicht gegebenen Informationsdefizits als ein zu Gunsten des Angekl. eingelegtes Rechtsmittel (§ 296 Abs. 2 StPO) zu werten. Die hier zu prüfende Verfahrensrüge begründet mithin keinen Zweifel daran, dass die Revision der StA zu Ungunsten des Angekl. eingelegt worden ist.
c) Die Mitteilungen des Vorsitzenden, namentlich diejenige, die er erst im Anschluss an den Wiedereintritt in die Beweisaufnahme machte, genügen den rechtlichen Anforderungen des § 243 Abs. 4 StPO nicht.
aa) Nach dieser Vorschrift ist über Erörterungen nach §§ 202 a, 212 StPO zu berichten, die außerhalb einer HV stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257 c StPO) gewesen ist. Die – vorliegend durch das Gespräch am Rande des ersten Hauptverhandlungstages ausgelöste – Mitteilungspflicht dient, wie dargetan, der Transparenz und Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens. Um dem Transparenzgebot gerecht zu werden, ist nicht nur der Umstand mitzuteilen, dass es solche Erörterungen gegeben hat, sondern auch deren wesentlicher Inhalt. Hierzu gehört regelmäßig, wer an dem Gespräch teilgenommen hat, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen worden ist, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertreten haben und ob diese bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind (…). Das gilt auch dann, wenn eine Verständigung iSd § 257 c Abs. 3 StPO – wie hier – letztlich nicht zustande gekommen ist (…).
bb) Zwar legt das Gesetz hinsichtlich der Mitteilung über während, jedoch außerhalb der HV stattgefundene Erörterungen gem. § 243 Abs. 4 S. 2 StPO keinen Zeitpunkt fest, zu dem das Gericht die erforderlichen Angaben in der HV zu machen hat. Regelmäßig ist aber eine umgehende Information nach einem verständigungsbezogenen Gespräch, mithin sogleich nach Fortsetzung der HV, erforderlich (…).
cc) Diesen Anforderungen entsprachen die Mitteilungen des Vorsitzenden, deren Inhalt durch das Hauptverhandlungsprotokoll belegt wird, nicht. Sie beschränkten sich auf den Umstand, dass es verständigungsbezogene Erörterungen gab. Der Vorsitzende informierte weder darüber, dass solche außerhalb der HV stattfanden, noch berichtete er, wer an dem Gespräch am Rande des ersten Hauptverhandlungstages teilnahm, von wem die Initiative für eine Verständigung ausging, welche Positionen von welchem Verfahrensbeteiligten vertreten wurden und mit welchem Ergebnis das Gespräch endete. Die Mitteilungen sind daher rechtlich defizitär.
Hinzu kommt der zu späte Zeitpunkt dieser Erklärungen des Vorsitzenden. Die Mitteilung hätte jedenfalls vor der Einlassung des Angeklagten zur Sache gemacht werden müssen, um ihren Zweck zu erfüllen, bei ihm etwa vorhandene Informationsdefizite auszuräumen und ihm eine sachgerechte autonome Entscheidung über sein Verteidigungsverhalten zu ermöglichen.
d) Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler.
aa) Bei einem Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO ist bei Zugrundelegung der von der herkömmlichen Dogmatik des Beruhens (§ 337 Abs. 1 StPO) abweichenden Rspr. des BVerfG im Sinne eines um normative Aspekte angereicherten Beruhensbegriffs regelmäßig davon auszugehen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht (…).
(1) Das Beruhen eines Urteils auf einer Verletzung der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO kann zwar ausnahmsweise auch bei Zugrundelegung des normativen Beruhensbegriffs im Einzelfall ausgeschlossen werden. Dies gilt dann, wenn der Mitteilungsmangel sich nicht in entscheidungserheblicher Weise auf das Prozessverhalten des Angekl. ausgewirkt haben kann sowie mit Blick auf die Kontrollfunktion der Mitteilungspflicht der Inhalt der geführten Gespräche zweifelsfrei feststeht und sicher ausgeschlossen werden kann, dass diese auf die Herbeiführung einer gesetzwidrigen Absprache gerichtet waren (…).
(2) Von diesen Maßstäben ausgehend lässt sich ein normativer Beruhenszusammenhang nicht verneinen.
Insbesondere liegt ein gravierender die Kontrollfunktion berührender Transparenzmangel vor, der es als nicht ausgeschlossen erscheinen lässt, dass die geführte Unterredung eine informelle Verständigung zum Gegenstand hatte bzw. Teil einer solchen war.
Die StA macht im Rahmen einer weiteren Verfahrensrüge geltend, die Strafkammer habe sich im Wege eines „Deals“ außerhalb der Regularien des § 257 c StPO mit dem Verteidiger des Angekl. auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von unter fünf Jahren verständigt. Dies zeige sich daran, dass der Vorsitzende erklärt habe, die Strafkammer verhänge üblicherweise eine Strafe im unteren Bereich eines Verständigungsstrafrahmens und halte eine Strafe innerhalb des für den Fall einer Verständigung vorgeschlagenen Strafrahmens bei einem Geständnis des Angekl. auch dann für schuldangemessen, wenn eine förmliche Verständigung nicht zustande komme, woraufhin der Angekl. eine weitgehend geständige Einlassung abgegeben habe.
Zwar ist es dem Gericht unbenommen, im Rahmen einer transparenten und kommunikativen Verhandlungsführung ein mögliches Prozessergebnis bei einem Geständnis des Angeklagten in Aussicht zu stellen, solange damit keine endgültige Festlegung oder Zusage verbunden ist (…). Auch wirft es keine Bedenken auf, wenn das Gericht erklärt, es erachte bei dem Prozessverhalten des Angekl., auf dem ein Verständigungsvorschlag beruhe, auch ohne eine förmliche Verständigung gem. § 257 c StPO eine Strafe innerhalb des Rahmens für angemessen, der in dem Vorschlag genannt sei (….). Denn auch eine verständigungsbasierte Strafe muss schuldangemessen sein (…). Die Angabe einer im Falle eines Geständnisses voraussichtlich schuldangemessenen Strafe bindet außerhalb einer förmlichen Verständigung weder das Gericht noch wird dadurch ein Vertrauenstatbestand geschaffen, auf den sich der Angekl. berufen könnte (…).
Jedoch steht hier nicht mit hinreichender Sicherheit fest, dass sich die Strafkammer nicht auf ein Höchststrafmaß für den Fall eines Geständnisses festlegte. Wenngleich nach dem der revisionsrechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden Sachverhalt eine unzulässige Verständigung zwischen Gericht und Angekl. nicht zweifelsfrei erwiesen ist (…), lässt das Verfahrensgeschehen, namentlich die (zeitliche) Verknüpfung der Erklärungen des Vorsitzenden mit dem Verständigungsvorschlag der Strafkammer, eine informelle und ggf. konkludent erzielte Verständigung ohne die StA nicht als gänzlich fernliegend erscheinen (…). So erklärte nach der dienstlichen Stellungnahme der Sitzungsvertreterin der StA etwa der Vorsitzende im Rahmen der Urteilsverkündung, die Strafkammer habe, da sich eine der 14 Taten nicht habe vollumfänglich nachweisen lassen, bei der Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe einen „Abschlag“ von einem Monat „gegenüber dem (von der StA nicht gebilligten) Ursprungsangebot“ vorgenommen.
bb) Selbst wenn der Beurteilung die herkömmliche, maßgebend auf die Kausalität abstellende Beruhensprüfung zu Grunde gelegt wird (…), beruht das Urteil auf der rechtlich defizitären Mitteilung.
Denn es ist nicht sicher auszuschließen, dass der Angekl. kein Geständnis jenseits einer förmlichen Verständigung abgelegt hätte, wenn er (zuvor) durch eine Mitteilung des Gerichts umfassend über Ablauf und Inhalt des am Rande des ersten Hauptverhandlungstages geführten verständigungsbezogenen Gespräches informiert worden wäre. Da sich die Verurteilung maßgeblich auf seine geständigen Angaben stützt, erscheint es möglich, dass das Urteil dann anders ausgefallen wäre.“
Zusammenfassung:
- Der zum Nachteil des Angeklagten erhobenen Verfahrensrüge, das Tatgericht habe nach dem Führen verständigungsbezogener Erörterungen gegen die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO verstoßen, steht der Bestimmung des § 339 StPO nicht entgegen.
- Allerdings ist die Staatsanwaltschaft in einer solchen Konstellation nicht in ihrem Recht auf Informationsteilhabe betroffen; dies gilt unabhängig davon, ob der Sitzungsvertreter personenidentisch mit dem Staatsanwalt ist, der an der betreffenden Erörterung teilnahm. Denn die Staatsanwaltschaft als solche muss sich das Wissen ihrer Mitarbeiter zurechnen lassen.
- Gleichwohl ist § 339 StPO unanwendbar und steht der Staatsanwaltschaft eine Rügebefugnis zu. Dies liegt darin begründet, dass die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO nicht allein den Verteidigungsbelangen des Angeklagten und damit seinem Schutz dient, sondern zudem – auch im Interesse der Staatsanwaltschaft – bezweckt, die Öffentlichkeit und Transparenz des Verständigungsverfahrens zu gewährleisten.
- In ihrer „Wächterfunktion“ hat die Staatsanwaltschaft die Aufgabe, für die Gewährleistung der effektiven Kontrolle eines Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit Sorge zu tragen. Dies bedingt, dass sie unabhängig von einer eigenen unmittelbaren Beschwer im engen Sinne, also losgelöst von einem etwaigen eigenen Informationsdefizit, befugt ist, Rechtsfehler im Zusammenhang mit der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO in der Revision zu rügen.