Aussage gegen Aussage
BGH, Beschl. v. 16.3.2022 − 4 StR 30/22
Aus dem Sachverhalt:
Der Angekl. saß mit der Zeugin O auf einer Parkbank. Nachdem er sie bereits gegen ihren Willen auf den Mund geküsst und ihr unterhalb der Bekleidung an die Brust gegriffen hatte, stellte er sich vor die Zeugin und forderte sie zum Oralverkehr auf. Diese wandte ihren Kopf angewidert ab und erklärte, dass sie das nicht wolle. Der Angekl. ergriff mit beiden Händen den Kopf der Zeugin, drehte ihr Gesicht in die Richtung seines Unterleibs und drückte ihren Kopf gegen den Widerstand der Zeugin in Richtung seines Gliedes. Dabei hielt er den Kopf der Zeugin so fest, dass sie sich dem vor ihr stehenden und körperlich überlegenen Angekl. nicht entziehen und sich nicht weiter zur Wehr setzen konnte. Obwohl der Angekl. wusste, dass sie keinen Oralverkehr wollte, führte er sein Glied drei- bis viermal in den Mund der bis zu diesem Zeitpunkt sexuell unerfahrenen Zeugin ein. Bevor er zum Samenerguss kam, ließ der Angekl. von der Zeugin ab und wandte sich dem neben der Bank stehenden Mülleimer zu, was die Zeugin zur Flucht nutzte. Die Verurteilung wegen Vergewaltigung hat keinen Bestand.
Aus den Gründen:
„(…) II. 1. Die Verurteilung des Angekl. wegen Vergewaltigung kann nicht bestehen bleiben, weil die zugrundeliegende Beweiswürdigung den an sie zu stellenden rechtlichen Anforderungen nicht genügt.
Das LG hat seine Überzeugung vom Tatgeschehen im Wesentlichen auf die als vollumfänglich glaubhaft bewertete Aussage der Zeugin O gestützt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Zeugin das Kerngeschehen über sämtliche Vernehmungssituationen hinweg konstant, übereinstimmend und widerspruchsfrei geschildert habe. Einzelne festgestellte Abweichungen und Widersprüche beträfen ausschließlich das Randgeschehen. Die Entstehung der Aussage spreche ebenfalls für deren Glaubhaftigkeit. Die Überzeugung der Strafkammer werde auch nicht dadurch erschüttert, dass die Zeugin vereinzelte Erinnerungslücken einräumen musste. So sei sie nicht mehr in der Lage gewesen, anzugeben, ob der Angekl. eine Erektion hatte. Dies sei aber plausibel damit zu erklären, dass die Geschehnisse für die bis dahin sexuell weitgehend unerfahrene Zeugin mit auch in der HV nahezu greifbarer Scham behaftet gewesen seien. So habe sie nachvollziehbar erklärt, sie habe auch gar nicht hinsehen wollen, was der Angekl. am Mülleimer gemacht habe.
Diese Ausführungen halten trotz des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (…) sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Im Rahmen einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation zum eigentlichen Tatgeschehen gelten besondere Anforderungen an die Begründung und Darstellung der tatrichterlichen Überzeugungsbildung, wenn das Tatgericht seine Überzeugung allein auf die Angaben der Geschädigten stützt (…). Um dem Revisionsgericht in einem solchen Fall die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung zu ermöglichen, ist der entscheidende Teil der Aussage des einzigen Belastungszeugen in Form einer geschlossenen Darstellung in den Urteilsgründen wiederzugeben (…); grundsätzlich nicht ausreichend sind einzelne, aus dem Zusammenhang der Aussage gerissene Angaben. Die Darstellung hat auch vorangegangene, frühere Aussagen des Zeugen zu umfassen, denn anderenfalls kann das Revisionsgericht nicht überprüfen, ob das Tatgericht eine fachgerechte Konstanzanalyse vorgenommen und Abweichungen zutreffend gewichtet hat (…).
Daran gemessen erweist sich die Beweiswürdigung des LG als nicht tragfähig. Dem Urteil fehlt es bereits an einer in sich geschlossenen vollständigen und wertfreien Darstellung der Aussage der Zeugin O in der HV; die Strafkammer vermengt ihre Schilderung der Aussage mit wertenden Elementen. Ferner wird versäumt, die Aussage der Zeugin bei der Polizei im Ermittlungsverfahren wiederzugeben. Die vom LG vorgenommene Inhalts- und Konstanzanalyse mit der Bewertung, Abweichungen und Widersprüche beträfen nur das Randgeschehen, kann aus diesen Gründen nicht überprüft werden. Dies gilt im Besonderen für die vom LG benannte „Erinnerungslücke“ zu der Frage einer Erektion, die das Kerngeschehen des zeitlich beschränkten und überschaubaren Tatablaufs betrifft. Diese „Erinnerungslücke“ lässt sich jedenfalls auch nicht ohne weiteres auf ein Schamgefühl der Zeugin in der HV zurückführen. (…)“
Zusammenfassung:
- Im Rahmen einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation zum eigentlichen Tatgeschehen gelten besondere Anforderungen an die Begründung und Darstellung der tatrichterlichen Überzeugungsbildung, wenn das Tatgericht seine Überzeugung allein auf die Angaben der Geschädigten stützt.
- Um dem Revisionsgericht in einem solchen Fall die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung zu ermöglichen, ist der entscheidende Teil der Aussage des einzigen Belastungszeugen in Form einer geschlossenen Darstellung in den Urteilsgründen wiederzugeben; grundsätzlich nicht ausreichend sind einzelne, aus dem Zusammenhang der Aussage gerissene Angaben.
- Die Darstellung hat auch vorangegangene, frühere Aussagen des Zeugen zu umfassen, denn anderenfalls kann das Revisionsgericht nicht überprüfen, ob das Tatgericht eine fachgerechte Konstanzanalyse vorgenommen und Abweichungen zutreffend gewichtet hat.