Sachgrundlose Befristung – Geringfügige Nebenbeschäftigung als Vorbeschäftigung
BAG, Urteil vom 12.6.2019 – 7 AZR 429/17
Sachverhalt:
Die Parteien stritten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung am 31.8.2015 geendet hat.
Der 1985 geborene Kl. war bei der Bekl. in der Zeit vom 26.7.2004 bis zum 4.9.2004 aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags beschäftigt. Dieser Anstellung lag ein Einstellungsschreiben der Bekl. vom 26.7.2004 zugrunde, in dem es auszugsweise heißt:
„Wir stellen Sie für die Zeit vom 26.7.2004–4.9.2004 für die Abteilung W 020480 als Ferienbeschäftigter ein. (…) Ihre individuelle regelmäßige Arbeitszeit richtet sich nach den örtlich vereinbarten Regelungen für Vollzeitbeschäftigte. Sie beträgt 35 Stunden pro Woche. Als Vergütung für Ihre Tätigkeit im Akkordlohn erhalten Sie bei Eingruppierung in (Stamm-)Lohngr. 04 einen Monatslohn von 1.688,05 Euro. (…)“
Mit Wirkung zum 1.9.2013 stellte die Bekl. den Kl. auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 19.8.2013 erneut befristet zunächst bis zum 28.2.2014 als Montierer ein. Dieser befristete Arbeitsvertrag wurde in der Folgezeit mit Vereinbarungen vom 7.2.2014, vom 24.7.2014 und zuletzt vom 30.1.2015 bis zum 31.8.2015 verlängert.
Mit seiner Klage hat der Kl. die Unwirksamkeit der Befristung zum 31.8.2015 geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Befristung sei nach § 14 Absatz II TzBfG wegen seiner Vorbeschäftigung im Jahr 2004 nicht ohne Sachgrund gerechtfertigt.
Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG hat der Klage stattgegeben. Die Revision der Bekl. hatte Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
(…) „ 1. Das Landesarbeitsgericht durfte mit der von ihm gegebenen Begründung nicht annehmen, die Befristung zum 31. August 2015 sei nicht nach § 14 Abs. 2 TzBfG gerechtfertigt.
a) Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Bis zu dieser Gesamtdauer ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 TzBfG auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags zulässig. Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist die sachgrundlose
Befristung eines Arbeitsvertrags nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat.
b) Die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG genannten Voraussetzungen wurden zwar mit der Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses von zwei Jahren und der dreimaligen Vertragsverlängerung eingehalten. Das Landesarbeitsgericht ist jedoch mit einer rechtsfehlerhaften Begründung zu dem Ergebnis gelangt, die in der Verlängerungsvereinbarung vom 30. Januar 2015 vereinbarte Befristung zum 31. August 2015 verstoße wegen der vorherigen Anstellung des Klägers im Jahr 2004 gegen das in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG bestimmte Verbot der sachgrundlosen Befristung nach einer Vorbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das Verbot in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG erfasse jede frühere Beschäftigung des Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Der Anwendungsbereich des Verbots in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist vielmehr in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift einzuschränken in Fällen, in denen das Verbot für die Parteien unzumutbar wäre. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt.“
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts entsprach dem Wortlaut des Gesetzes.
Allerdings ist unter den folgenden Kriterien, die vom Bundesverfassungsgericht entwickelt wurden, im Wege einer verfassungskonformen Auslegung von einer Unanwendbarkeit der gesetzlichen Vorschrift auszugehen:
(..) Allerdings verlangt auch das Bundesverfassungsgericht eine verfassungskonforme Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG (BVerfG 6.Juni2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 – Rn. 62 f., BVerfGE 149, 126).
(1) Die Vorschrift schränkt die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit und die Vertragsfreiheit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ein. Diese Beeinträchtigungen wiegen schwer. Sie erweisen sich jedoch in der Abwägung mit dem Schutz der Beschäftigten im Arbeitsverhältnis (Art. 12 Abs. 1 GG) und den im Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG verankerten sozial- und beschäftigungspolitischen Zielsetzungen grundsätzlich als zumutbar. Dies gilt jedenfalls insoweit, als die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des mit § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG bezweckten Schutzes tatsächlich bedürfen, weil eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten und auch eine Gefahr für die soziale Sicherung durch eine Abkehr vom unbefristeten Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform besteht (…). Die mit § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einhergehenden Beeinträchtigungen der Rechte der Arbeitsplatzsuchenden und der Arbeitgeber, erneut einen Arbeitsvertrag sachgrundlos zu befristen, stehen auch nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zwecken, da die Arbeitsgerichte die Anwendung der Norm in verfassungskonformer Auslegung auf Fälle ausschließen können, in denen dies für die Beteiligten unzumutbar wäre (….).
(2) Ein Verbot der sachgrundlosen Befristung bei nochmaliger Einstellung bei demselben Arbeitgeber ist danach unzumutbar, soweit eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Der mit § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG verfolgte Schutzzweck kann in diesen Fällen das Verbot einer sachgrundlos befristeten Wiedereinstellung nicht rechtfertigen, soweit das legitime Interesse der Arbeitssuchenden an einer auch nur befristeten Beschäftigung und das ebenfalls legitime Flexibilisierungsinteresse der Arbeitgeber entgegensteht (…).
Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn eine Vorbeschäftigung
- sehr lang zurückliegt,
- ganz anders geartet war oder
- von sehr kurzer Dauer gewesen ist.“
Vorliegend schied eine Unzumutbarkeit der Anwendung der gesetzlichen Vorschrift unter dem Gesichtspunkt des langen Zeitablaufs im Ergebnis aus:
(…) „Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts genügt es nicht, dass das Vorbeschäftigungsverhältnis lang zurückliegt, es muss vielmehr sehr lang zurückliegen. Das kann bei einem Zeitraum von – wie hier – etwa neun Jahren nicht angenommen werden (…). Allein aufgrund dieses Zeitablaufs ist das Verbot der sachgrundlosen Befristung für die Arbeitsvertragsparteien – ohne das Hinzutreten besonderer Umstände – nicht unzumutbar. Zwar dürfte bei dieser Zeitspanne eine Gefahr der Kettenbefristung eher gering sein. Allerdings würde die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung bei einer erneuten Einstellung ca. neun Jahre nach dem Ende der Vorbeschäftigung allein wegen des Zeitablaufs den vom Gesetzgeber mit der Regelung in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG verfolgten Zweck, das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten, gefährden …).
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren soziale Sicherung und insbesondere auch die Versorgung im Alter maßgeblich an die Erwerbstätigkeit anknüpft, sind auf langfristige und unbefristete Arbeitsverhältnisse angewiesen (…). Die sachgrundlose Befristung soll daher nach der gesetzgeberischen Konzeption die Ausnahme bleiben, weil dies dazu beiträgt, das unbefristete Dauerarbeitsverhältnis als Regelfall der Beschäftigung zu erhalten (BVerfG 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 – Rn. 49, aaO). Dies ist auch bei der Beurteilung, ob das Verbot der sachgrundlosen Befristung bei der erneuten Einstellung eines Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber für die Arbeitsvertragsparteien unzumutbar ist, zu berücksichtigen, denn die von den Gerichten ggf. im Wege verfassungskonformer Auslegung vorzunehmende Einschränkung des Anwendungsbereichs des in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG normierten Verbots muss im Einklang mit dem sozialpolitischen Zweck des Schutzes der unbefristeten Beschäftigung als Regelfall stehen (BVerfG 6.Juni 2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 – Rn. 33, aaO). Bei der Frage, ob der Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einer verfassungskonformen Einschränkung bedarf, ist daher zu beachten, dass die sachgrundlose Befristung bei der erneuten Einstellung eines Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber auf Ausnahmefälle beschränkt ist. Das wäre nicht gewährleistet, wenn dieselben Arbeitsvertragsparteien nach Ablauf von ca. neun Jahren erneut einen Arbeitsvertrag mit einer sachgrundlosen Befristung abschließen könnten.“
In Betracht kamen jedoch weitere Umstände, die zu einer Unanwendbarkeit des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG im Wege einer verfassungskonformen Auslegung führen konnten:
(…) „Bei der Vorbeschäftigung des Klägers in der Zeit vom 26. Juli 2004 bis zum 4. September 2004 könnte es sich um eine nur geringfügige Nebenbeschäftigung während der Schul-, Studien- oder Ausbildungszeit des Klägers gehandelt haben, aufgrund derer nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift einzuschränken sein könnte. Eine solche Beschäftigung ist nicht selten von vornherein nur auf vorübergehende, häufig kurze Zeit und nicht auf eine längerfristige Sicherung des Lebensunterhalts angelegt. Sie hat für die soziale Sicherung und für die Altersversorgung regelmäßig nur untergeordnete Bedeutung und zudem meist eine andere Tätigkeit zum Gegenstand als die spätere auf Dauer angelegte Erwerbstätigkeit. Diese Umstände können geeignet sein, die Annahme zu rechtfertigen, es bestehe weder eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers noch sei das Verbot der sachgrundlosen Befristung erforderlich, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten.“
Da das Landesarbeitsgericht bislang keine Feststellungen dazu getroffen hatte, ob es sich bei der Vorbeschäftigung des Klägers im Jahr 2004 um eine Nebenbeschäftigung während seiner Schulzeit, während eines Studiums oder während der Zeit einer Berufsausbildung gehandelt hat und ob überhaupt eine geringfügige Nebenbeschäftigung vorlag, konnte das Bundesarbeitsgericht nicht in der Sache selbst entscheiden sondern musste die Sache an das Landesarbeitsgericht wegen der erforderlichen weiteren Tatsachenfeststellungen zurückgeben.
Zusammenfassung:
- Das Verbot einer sachgrundlosen Befristung im Falle einer Vorbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber nach §14 AbsatzII2 TzBfG greift nicht, wenn seine Anwendung für die Parteien unzumutbar wäre. Der Anwendungsbereich von § 14 Absatz II 2 TzBfG ist in diesem Fall im Wege der verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift einzuschränken.
- Das Verbot ist unzumutbar, wenn eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist. Dazu genügt allein ein Zeitablauf von etwa neun Jahren nicht.
- Handelte es sich bei dem vorangegangenen Arbeitsverhältnis um eine nur geringfügige Nebenbeschäftigung während der Schul-, Studien- oder Ausbildungszeit, kann dies die Annahme rechtfertigen, das Verbot der sachgrundlosen Befristung sei nicht erforderlich, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten.