Antrag auf Umgangsrecht durch frühere Lebenspartnerin der Mutter
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. Juni 2022 – 18 UF 22/22 –
Aus dem Sachverhalt:
Das Verfahren betrifft den Umgang der Antragstellerin mit den minderjährigen Kindern der Antragsgegnerin.
Zwischen den Beteiligten bestand eine nichteheliche Lebensgemeinschaft. Sie lernten sich im Juli 2012 kennen und lebten seit Dezember 2013 miteinander. Die Trennung erfolgte im August 2021. Während ihrer Beziehung wurden aufgrund eines gemeinsamen Entschlusses der Beteiligten die Kinder …, geboren am …, und …, geboren am …, im Wege der künstlichen Befruchtung gezeugt und von der Antragsgegnerin ausgetragenen und geborenen. Eine Stiefkindadoption durch die Antragstellerin ist nicht erfolgt. Eine sorgerechtliche Regelung wurde nicht getroffen.
Ursprünglich war geplant gewesen, dass beide Beteiligte jeweils ein Kind austragen sollten. Nach der Geburt …s entschieden sie, dass die Antragsgegnerin auch das zweite Kind austragen sollte.
Die Antragstellerin war bei beiden Geburten zugegen und bezog jeweils mit der Antragsgegnerin und dem Neugeborenen ein Familienzimmer in der Klinik. Nach den Geburten beider Kinder nahm sie jeweils einen Monat Elternzeit. Die Versorgung der Kinder, das Wickeln, Anziehen, Baden, Füttern, Spielen und Vorlesen etc. wurde von beiden Beteiligten übernommen. Die Antragstellerin nahm mit den Kindern Arzttermine sowie Termine in Kita und Kindergarten wahr. Sie übernahm auch … Eingewöhnung. Beide Kinder begleitete sie ins Kinderturnen. Sie brachte … das Fahrradfahren bei, unternahm mit den Kindern Ausflüge und nahm Treffen mit Freunden wahr. Morgens wurden die Kinder durch sie versorgt und in die Kita bzw. in den Kindergarten gebracht. Für die Kinder war die Antragstellerin ihre „Mom“, die Antragsgegnerin ihre „Mama“.
Nach der Trennung blieben die Kinder bei der Antragsgegnerin. Bis zum 09.10.2021 hatte die Antragstellerin Umgangskontakte. Danach lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung von Umgang ab.
Die Antragstellerin beantragte beim Amtsgericht Freiburg unter dem 21.10.2021 zunächst, den Umgang im Wege der einstweiligen Anordnung zu regeln. Unter dem 18.11.2021 beantragte sie beim Amtsgericht Freiburg im vorliegenden Verfahren die gerichtliche Anordnung von Umgangskontakten in der Hauptsache. Nachdem sie zunächst einen 14-täglichen Wochenendumgang, einen 14-täglichen Nachmittagsumgang sowie hälftigen Ferienumgang begehrte, erklärte sie sich im Termin vom 22.12.2021 zur Wahrnehmung auch eines minimalen und in Begleitung stattfindenden Umgangs bereit.
Nach persönlicher Anhörung der Kinder, der Antragstellerin, der Antragsgegnerin, der Verfahrensbeiständin sowie der Vertreterin des Jugendamtes hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 28.12.2021 den Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen.
Gegen diesen ihr am 03.01.2022 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am selben Tag beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde vom 02.02.2022.
Aus den Gründen:
„Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Das Amtsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Umgang mit den Kindern … und … zu Recht zurückgewiesen. Auch das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine abweichende Entscheidung.
1. Zutreffend hat das Amtsgericht die Frage, ob der Antragstellerin ein Recht auf Umgang mit den Kindern … und … zusteht, nach § 1685 Abs. 2 BGB und nicht nach § 1684 BGB beurteilt.
Die Vorschrift des § 1684 BGB gilt nur für Eltern, d.h. für Mutter und Vater eines Kindes. Mutter eines Kindes ist gemäß § 1591 BGB die Frau, die es geboren hat. Das trifft auf die Antragstellerin nicht zu. Die Antragstellerin ist auch nicht im Wege der Stiefkindadoption Mutter der Kinder geworden.
Eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 1684 BGB auf die vorliegende Konstellation scheidet aus, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt (…). Das nicht an die biologische Elternschaft, sondern an die soziale Herkunft anknüpfende Umgangsrecht sozialer Bezugspersonen ist in § 1685 BGB ausdrücklich geregelt (…).
2. Der Antragstellerin ist kein Umgang mit den beiden Kindern … und … zu gewähren, weil nicht festzustellen ist, dass der Umgang dem Wohl der Kinder dient.
Nach § 1685 Abs. 2 BGB haben enge Bezugspersonen des Kindes, wenn diese für das Kind tatsächlich Verantwortung tragen oder getragen haben, ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient.
a) Zwar handelt es sich bei der Antragstellerin um eine enge Bezugsperson im Sinne von § 1685 Abs. 2 BGB.
aa) Eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung im Sinne von § 1685 Abs. 1 Satz 2 BGB ist gemäß § 1685 Abs. 2 Satz 2 BGB in der Regel anzunehmen, wenn die Person mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat. Bei der Beurteilung, welche Zeitspanne hierfür erforderlich ist, ist maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, wobei es wesentlich auf das Zeitempfinden des Kindes ankommt (…). Jedenfalls bei jüngeren Kindern erscheint eine Dauer des Zusammenlebens von einem Jahr ausreichend (…).
bb) Danach bestand zwischen der Antragstellerin und den Kindern … und … eine sozial-familiäre Beziehung. Bis zur Trennung der Beteiligten im August 2021 haben die Kinder gemeinsam mit der Antragstellerin in häuslicher Gemeinschaft gewohnt. … war zum Zeitpunkt der Trennung knapp viereinhalb Jahre alt, … war damals zwei Jahre alt. Die Dauer des Zusammenlebens erstreckt sich mithin auf einen längeren Zeitraum, weshalb das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung gemäß § 1685 Abs. 2 Satz 2 BGB vermutet wird.
Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Antragstellerin war diese als „Mom“ auch tatsächlich in erheblichem Umfang in die Versorgung, Betreuung und Erziehung der Kinder eingebunden. Soweit die Antragsgegnerin geltend macht, dass sie die ihr dabei zugekommene Rolle überhöhe und den Erziehungsstil der Antragstellerin beanstandet, ändert dies nichts daran, dass die Antragstellerin bis zur Trennung der Beteiligten tatsächliche Verantwortung für die Kinder getragen hat.
b) Das Gericht vermag aber nicht positiv festzustellen, dass der Umgang der Antragstellerin mit den Kindern dem Kindeswohl dient.
aa) Zur Feststellung der Kindeswohldienlichkeit des Umgangs ist eine umfassende Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls durchzuführen (…). Dabei ist es für die Einräumung eines Umgangsrechts zugunsten einer nicht mit dem Kind verwandten Bezugsperson auf Grundlage früherer sozial-familiäre Beziehungen nicht ausreichend, dass der Umgang lediglich nicht dem Kindeswohl zuwiderläuft. Die Anordnung von Umgangskontakten kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn positiv feststeht, dass der Umgang dem Kindeswohl tatsächlich dient (…), was ausschließlich aus dem Blickwinkel des Kindes zu beurteilen ist (…)
Für die Frage, was dem Wohl des Kindes dient, kann § 1626 Abs. 3 Satz 2 BGB als Auslegungshilfe herangezogen werden. Danach gehört zum Wohl des Kindes der Umgang mit anderen Personen (als den Eltern), zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn – was weitere Voraussetzung für die Vermutung ist – deren Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist (…).
Grundsätzlich ist Umgang dem Kindeswohl dienlich, wenn ein enges Vertrauensverhältnis zwischen der Bezugsperson und dem Kind besteht, welches es aufrecht zu erhalten gilt, das Kind dem Umgang nicht verweigert, seine Alltagsgestaltung weitere Umgangs zulässt und schließlich keine, das Kind beeinträchtigenden Konflikte zwischen der zum Umgang verpflichteten und der Umgang begehrenden Person bestehen (…).
Die Kindeswohldienlichkeit hat das Gericht gemäß § 26 FamFG von Amts wegen zu prüfen. Bei einer verbleibenden Ungewissheit trägt der Umgangsberechtigte die Feststellungslast (…).
bb) Nach diesem rechtlichen Maßstab kann die Kindeswohldienlichkeit des Umgangs derzeit nicht festgestellt werden.
(1) Vorliegend sprechen zwar gewichtige Gründe dafür, dass Umgangskontakte nicht nur dem Kindeswohl förderlich, sondern in Bezug auf … sogar äußerst wichtig sein könnten, um ihm eine Aufarbeitung des Beziehungsabbruchs zu ermöglichen:
Die Anordnung von Umgangskontakten ermöglicht es dem betroffenen Kind, eine Beziehung zu einer außerhalb ihrer sozialen Familie stehenden Personen zu entwickeln und sich dadurch Klarheit über seine Familienverhältnisse und seine eigene Herkunft im Sinne einer Identitätsfindung zu verschaffen (…). Dieser Gesichtspunkt ist im vorliegenden Fall relevant, weil … und … aufgrund einer gemeinsamen Entscheidung der Beteiligten im Wege einer künstlichen Befruchtung entstanden sind und die Antragstellerin daher, obgleich sie die Kinder nicht selbst ausgetragen hat, wesentlichen Anteil an ihrer Entstehung und damit Herkunft der Kinder im weiteren Sinne hatte.
Nachdem aufgrund des langen häuslichen Zusammenlebens der Antragstellerin mit den Kindern seit ihrer Geburt und der von der Antragstellerin für die Kinder übernommen Verantwortung eine Bindung zwischen der Antragstellerin und den Kindern entstanden ist, spricht auch der Aspekt der Aufrechterhaltung dieser Bindung für die Anordnung von Umgangskontakten. Der kurz nach der Trennung der Beteiligten eingetretene Kontaktabbruch zur Antragstellerin, ohne dass es hierfür Gründe im Verhältnis der Antragstellerin zu den Kindern gab, ist für diese schwer nachvollziehbar. Umgangskontakte sind mithin geeignet, den Kindern ein besseres Verständnis für die Trennung zu verschaffen und zugleich ihre eigene Beziehung zur Antragstellerin aufrechtzuerhalten. (…)
(3) Gleichwohl kann das Gericht bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls die Kindeswohldienlichkeit gerichtlich angeordneter Umgänge nicht feststellen.
Die Antragsgegnerin lehnt jegliche Form von Umgangskontakten, auch wenn diese nur gelegentlich stattfinden und durch den Kinderschutzbund professionell begleitet werden, vehement ab. Diese ablehnende Haltung hat sich auf … übertragen. Dieser erklärte im Rahmen seiner Anhörung nachdrücklich, dass sie – die Kinder – die Antragstellerin nicht sehen wollten und sie nicht vermissen würden. Auch auf mehrfache Nachfrage war er nicht bereit, sich auf ein Treffen einzulassen. Dabei liegt zwar nahe, dass der geäußerte Kindeswille – sei es bewusst oder unbewusst – durch die ablehnende Haltung der Mutter beeinflusst wurde. Hierfür spricht insbesondere, dass … von sich aus positive Erlebnisse mit seiner „Mom“ schildern konnte. Das ändert indes nichts daran, dass sich seine Haltung bereits so weit verfestigt hat, dass er auf die Aussicht eines Treffens mit Ängsten reagiert.
Angesichts der durch die erwachsenen Beteiligten nicht aufgearbeiteten Trennung, der Konflikte auf der Paarebene und des für die Kinder hieraus resultierenden Loyalitätskonfliktes ist für das Gericht nicht ersichtlich, dass Umgangskontakte in einer Weise stattfinden und ausgestaltet werden können, dass die Kinder hierdurch nicht erheblich beeinträchtigt würden. Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin in ihrer Beziehung als dominant wahrgenommen und sieht, wie die Verfahrensbeiständin in ihrem Bericht vom 31.05.2022 anschaulich schildert, den vollständigen Kontaktabbruch für sich als einzige Möglichkeit, mit der Beziehung abzuschließen und für sich und ihre Familie zur Ruhe zu kommen. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass sie Umgänge nicht nur in diesem Verfahren abgelehnt, sondern auch im Falle der gerichtlichen Anordnung von Umgangskontakten alles daran setzen wird, diese zu verhindern. Welche positiven Auswirkungen Umgangskontakte für die Kinder haben könnten, vermag sie nicht zu erkennen. Ihre Aufgabe sieht sie darin, die Kinder vor Zusammentreffen mit der Antragstellerin zu schützen. Es steht daher konkret zu befürchten, dass die Antragsgegnerin selbst im Falle der Anordnung professionell begleiteter Umgänge hieran nicht nur nicht mitwirken, sondern die Kinder in ihrer ablehnenden Haltung weiter bestärken würde. Die für … wichtige Aufarbeitung der Trennung würde unter diesen Umständen gerade nicht erfolgen können. Sie setzt vielmehr voraus, dass die Antragsgegnerin Umgänge jedenfalls bis zu einem gewissen Grad mitträgt und unterstützt. Sie hiervon zu überzeugen, ist nicht gelungen.
Unter diesen Umständen erscheint die gerichtliche Anordnung von Umgangskontakten trotz der bestehenden tragfähigen Bindung der Kinder zur Antragstellerin dem Kindeswohl nicht dienlich. Es wäre zu erwarten, dass der aus der ablehnenden Haltung der Antragsgegnerin resultierende Loyalitätskonflikt im Falle der Anordnung von Umgangskontakten durch die Kinder nicht aufgearbeitet, sondern sich durch die tatsächliche Umsetzung erzwungener Umgangskontakte weiter verschärfen würde. Das Gericht verkennt nicht, dass allein der entgegenstehende Wille der Antragsgegnerin nicht ausreicht, um der Antragstellerin den Umgang mit den Kindern zu verwehren (…). Anders liegt es aber, wenn – wie hier – das Kind wegen seiner bestehenden Zuneigung in einen es schwer belastenden Loyalitätskonflikt gerät (…).
(4) Das Gericht sieht aufgrund der Vehemenz der Ablehnung der Antragsgegnerin keine Möglichkeit, sie durch eine Wohlverhaltensanordnung gemäß § 1685 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 1684 Abs. 3 Satz 2 BGB zur Unterstützung von Umgangskontakten anzuhalten. Erreicht werden könnte hierdurch allenfalls eine äußerliche Mitwirkung, die aber nicht geeignet wäre, den bestehenden Loyalitätskonflikt aufzulösen.
(5) Die Anordnung von Maßnahmen gemäß § 1685 Abs. 3 BGB kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil die Kindeswohldienlichkeit des Umgangs nicht festgestellt werden kann und somit schon die Voraussetzungen für die Anordnung des Umgangs nicht vorliegen (…).
(a) Die Anordnung einer Umgangsbegleitung gemäß § 1685 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 1684 Abs. 4 Satz 3 BGB wäre im Übrigen nicht geeignet, eine Akzeptanz und Kindeswohldienlichkeit der Umgänge zu erreichen. Im Anhörungstermin vom 23.06.2022 wurde deutlich ersichtlich, dass die Antragsgegnerin ihre Familie und ihre Beziehung zu ihren Kindern durch jegliche Kontakte bedroht sieht und sich auch auf professionell begleitete Umgänge daher nicht einlassen kann.
(b) Dies gilt auch für die Anordnung einer Umgangspflegschaft gemäß § 1685 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 1684 Abs. 3 Satz 3 bis 5 BGB. Das Gericht vermag nicht festzustellen, dass durch die Einrichtung einer Umgangspflegschaft Umgangskontakte ohne erhebliche Belastungen für die Kinder tatsächlich umgesetzt werden könnten. Auch im Falle der Anordnung einer Umgangspflegschaft fehlt es daher an der für die Anordnung von Umgängen erforderlichen der Kindeswohldienlichkeit.
Auf das Vorliegen der für die Anordnung einer Umgangspflegschaft gemäß § 1685 Abs. 3 Satz 2 BGB außerdem erforderlichen Kindeswohlgefährdung kommt es somit nicht entscheidend an. Es kann daher offen bleiben, ob die insbesondere bei … bestehenden Problematik der unzureichenden Aufarbeitung der Trennung und des Bindungsabbruchs ein solches Maß erreicht, dass sich hieraus eine Gefahr für seine Entwicklung ergeben kann. (…)“
Zusammenfassung:
An der positiv festzustellenden Kindeswohldienlichkeit im Sinne von § 1685 Abs. 2 BGB kann es trotz des Bestehens einer tragfähigen Bindung zu der den Umgang begehrenden Bezugsperson fehlen, wenn der leibliche Elternteil den Umgang vehement verweigert und das Kind hierdurch einem solchen Loyalitätskonflikt ausgesetzt ist, dass auch begleitete Umgänge nicht ohne erhebliche Beeinträchtigung des Kindes durchgeführt werden können.