Vaterschaft für das Kind einer mit einer Frau verheirateten Mutter
OLG Stuttgart Beschluss vom 7.4.2022 – 11 UF 39/22 –
Aus dem Sachverhalt:
Die Ag. wandte sich gegen einen Beschluss des AG Hechingen vom (…) durch den der Ast. als Vater ihres Sohnes festgestellt wurde. Die Ag. und ihre jetzige Ehefrau lebten seit 2009 in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und schlossen im Jahr 2018 durch Umwandlung dieser Lebenspartnerschaft die Ehe. Die Ag. gebar ihren Sohn K. Mitte 2018 fassten der Ast., die Ag. und deren Ehefrau den Entschluss, mittels einer Samenspende des Ast. ein Kind zu zeugen. Bei einem Treffen im Januar 2019 übergab der Ast. der Ag. in einem Becher eine Samenspende. Die Beteiligten waren sich einig, dass das Kind bei der Ag. und deren Ehefrau aufwachsen sollte. Welche weiteren Absprachen getroffen wurden, ist streitig. Der Ast. behauptet, dass vereinbart worden sei, dass er die Vaterschaft anerkennen und die Vaterrolle übernehmen solle. Nach der Geburt habe sich die Meinung der Ag. geändert und sie habe die Adoption des Kindes durch ihre Ehefrau angestrebt. Die Ag. hingegen trägt vor, dass klar abgesprochen gewesen sei, dass ihre Ehefrau das Kind adoptieren werde. Der Ast. hat K nur bis Januar 2020 einige Male gesehen. Seither stellen sich die Ag. und deren Ehefrau gegen einen Kontakt des Ast. zu dem Jungen. Der Ast. hat einen Umgangsantrag gestellt, der vom FamG in einem separaten Verfahren geführt wird. Außerdem ist beim FamG ein Verfahren auf Ersetzung der Einwilligung des Ast. zur Adoption anhängig.
Das FamG hat ein DNA-Abstammungsgutachten bei Dr. A eingeholt und gestützt auf das Ergebnis dieses Gutachtens durch Beschluss vom (…) die Vaterschaft des Ast. festgestellt. Da das Kind im Verfahren nicht vertreten war, hob der Senat auf die Beschwerde der Ag. die erstinstanzliche Entscheidung durch Beschluss vom (…) auf und verwies das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG zurück. Nach Bestellung einer Verfahrensbeiständin und Anhörung der Beteiligten stellte das AG – FamG – Hechingen durch Beschluss vom (…) die Vaterschaft des Ast. fest, wobei es der Ag. die Gerichtskosten erster Instanz auferlegte und von der Erhebung der Kosten des Beschwerdeverfahrens und Erstattung außergerichtlicher Kosten absah. Das FamG sah keine verfassungs- oder konventionsrechtlichen Bedenken in Bezug auf die Rechtsgrundlage. Eine Aussetzung des Verfahrens sei auch im Hinblick auf eine laut Koalitionsvertrag der Bundesregierung beabsichtigte Gesetzesänderung nicht angezeigt. Gegen den Beschluss legte die Ag. Beschwerde ein. Das Rechtsmittel war erfolglos.
Aus den Gründen:
„Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist gemäß §§ 57 ff. FamFG zulässig, in der Sache jedoch ohne Erfolg.
1. Der Antrag auf Feststellung des Bestehens des Eltern-Kind-Verhältnisses ist nach §§ 1600d Abs. 1, 1592 Nr. 3 BGB zulässig.
a. Die Feststellung der Vaterschaft ist nicht gemäß § 1600d Abs. 4 BGB ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift kann ein Samenspender nicht als Vater des Kindes festgestellt werden, wenn das Kind durch eine ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung in einer Einrichtung der medizinischen Versorgung im Sinne von § 1a Nr. 9 des Transplantationsgesetzes unter heterologer Verwendung von Samen gezeugt wurde, der vom Spender einer Entnahmeeinrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 des Samenspenderregistergesetzes zur Verfügung gestellt wurde. Fälle der privaten künstlichen Befruchtung einschließlich der hier verwendeten „Becherspende“ schließen also die Vaterschaftsfeststellung nicht aus.
b. Auch die in § 1600d Abs. 1 BGB genannte Voraussetzung, dass eine Vaterschaft gemäß §§ 1592 Nr. 1 und 2, 1593 BGB nicht besteht, liegt vor.
Die direkte Anwendung des § 1592 Nr. 1 BGB kommt hier bereits deshalb nicht in Betracht, weil die Norm nach ihrem klaren Wortlaut allein die Vaterschaft regelt und diese einem bestimmten Mann zuweist (…).
Die Vorschrift ist auch nicht entsprechend anwendbar. Es fehlt schon an einer planwidrigen Regelungslücke. Mit der Regelung der „Ehe für alle“ durch das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.07.2017 wollte der Gesetzgeber bestehende Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern beenden, ohne allerdings eine differenzierte rechtliche Behandlung in bestimmten Bereichen auszuschließen. Es gibt keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass das Abstammungsrecht versehentlich nicht angepasst wurde (…).
Es fehlt auch an der für eine entsprechende Anwendbarkeit erforderlichen Vergleichbarkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe zweier Frauen mit der von § 1592 Nr. 1 BGB geregelten Elternschaft des mit der Kindesmutter verheirateten Mannes. Die Vaterschaft kraft Ehe beruht darauf, dass diese rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung auch die tatsächliche Abstammung regelmäßig abbildet. Diese der gesetzlichen Reglung zugrunde liegende Vermutung ist für die mit der Kindesmutter verheiratete Frau – abgesehen vom Ausnahmefall des den Samen spendenden Mann-zu-Frau-Transsexuellen – nicht begründet (…).
c. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass die Anwendung der §§ 1600d, 1592 Nr. 1 BGB im vorliegenden Fall zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt. Die den Vorlagebeschlüssen zugrunde liegenden Konstellationen lassen sich nicht mit dem vorliegenden Fall vergleichen.
Das KG ist überzeugt, dass § 1592 Nr. 1 BGB gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, soweit ein durch eine ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung im Sinne des § 1600d Abs. 4 BGB gezeugtes und in der gleichgeschlechtlichen Ehe der Mutter geborenes Kind kraft Gesetzes nur einen rechtlichen Elternteil hat. Sowohl das Grundrecht des Kindes aus Art. 3 Abs. 1 GG als auch das Grundrecht der Ehefrau der Mutter aus Art. 3 Abs. 1 GG seien dadurch verletzt (…). Das KG begründet seine Überzeugung maßgeblich mit der Anpassung des § 1600d Abs. 4 BGB ab dem 01.07.2018, durch die der Samenspender bei einer Samenspende entsprechend den Vorgaben des § 1600d Abs. 4 BGB nicht mehr als Vater festgestellt werden kann. Das KG sieht eine Ungleichbehandlung darin, dass dem Kind in einer gleichgeschlechtlichen Ehe seiner Mutter ein Elternteil vorenthalten wird bzw. der Ehefrau der Mutter anders als dem Ehemann der Mutter keine Elternstellung eingeräumt wird.
Auch dem Vorlagebeschluss des OLG Celle (…) liegt ein Fall zugrunde, in der es nach einer anonymen Embryonenspende aufgrund der gesetzlichen Regelung des 1600d Abs. 4 BGB keinen zweiten Elternteil gibt. Das OLG Celle hat dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 1592 BGB wegen der fehlenden abstammungsrechtlichen Regelungen für die zweite Elternstelle für Kinder aus gleichgeschlechtlichen Ehen mit Art. 6 Abs. 2, 6 Abs. 1, 3 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG vereinbar ist.
Anders als in den Fällen des KG und des OLG Celle ist hier durch die Feststellung der Vaterschaft die Besetzung der zweiten Elternstelle möglich. Soweit eine private Samenspende eines Dritten – abhängig davon, ob die Mutter mit einer Frau oder einem Mann verheiratet ist – zu unterschiedlichen rechtlichen Folgen führt, ist dies aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.
Dass bei der Ehefrau anders als bei einem Ehemann einer Mutter nicht die weitere Elternschaft vermutet wird, beruht auf den biologischen Gegebenheiten und stellt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG dar. Die rechtliche Anerkennung der Vaterschaft des Ehemanns entsprechend der gesetzlichen Vermutung aus § 1592 Nr. 1 BGB wird im Übrigen ergänzt dadurch, dass der leibliche Vater die Vaterschaft des Ehemanns der Mutter gemäß § 1600 Abs. 2 BGB nur anfechten kann, wenn zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater keine sozial-familiäre Beziehung besteht. Die Vorschriften dienen dazu, den Ruf der Eltern sowie das Kind und die Ruhe und den Frieden in der Familie zu schützen. Zweck des § 1592 Nr. 1 BGB ist damit auch der Schutz der sozial-familiären Beziehung des Kindes zum Ehepartner der Mutter. Die eheliche Familie soll vor der Aufdeckung eines Fehltritts bewahrt werden (…). Bei einer gleichgeschlechtlichen Ehe ist hingegen von vornherein klar, dass das Kind nicht von beiden Eheleuten abstammen kann. Der Schutz durch die Anerkennung einer zweiten Mutterschaft wäre allenfalls der, dass nach außen hin stärker dokumentiert würde, dass die Zeugung im Einverständnis beider Ehegattinnen erfolgte. Diese eher vage Möglichkeit stellt nach Auffassung des Senats nicht in Frage, dass die Differenzierung zwischen gleich- und verschiedengeschlechtlichen Ehen gemessen am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG zulässig ist.
Die gesetzliche Regelung des § 1592 Nr. 1 und Nr. 2 BGB, der die Abstammung des Kindes an die Vermutung knüpft, dass Vater eines Kindes der Mann ist, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, greift selbst nicht in das Recht der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG ein (…).
Auch Art. 6 Abs. 2 GG ist nicht verletzt. Träger des verfassungsrechtlichen Elternrechts können nur Personen sein, die in einem durch Abstammung oder durch einfachgesetzliche Zuordnung begründeten Elternverhältnis zum Kind stehen (…). Daran fehlt es hier. Die Ehefrau der Antragsgegnerin ist weder leiblich noch rechtlich Elternteil des Kindes, so dass sie vom Schutz dieses Grundrechts nicht erfasst ist.
d. Das Verfahren ist auch nicht gemäß § 21 FamFG aus wichtigem Grund auszusetzen. Das Gericht kann das Verfahren nach dieser Vorschrift insbesondere dann aussetzen, wenn die Entscheidung ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Verfahrens bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Eine Aussetzung im Hinblick auf ein zu erwartendes Gesetz oder eine Gesetzesänderung ist im Regelfall nicht zulässig (…). Eine Aussetzung der Entscheidung bis zum Inkrafttreten einer eventuell auch anhängige Verfahren betreffenden Gesetzesänderung würde den Rechtsgewährungsanspruch des Antragstellers verletzen. Der Antragsteller hat einen Anspruch darauf, dass das Verfahren innerhalb angemessener Zeit unter Geltung der jetzigen Rechtslage entschieden wird.
2. Nach dem Gutachten der Sachverständigen steht außer Zweifel, dass der Antragsteller der Vater des —– (geb. ……) ist. Der Antragsteller verfügt in jedem der untersuchten genetischen Merkmale über ein Allel, das beim biologischen Vater zu erwarten ist. Er kann daher nicht als Vater ausgeschlossen werden. Die biostatische Bewertung der Ergebnisse aus den DNA-Analysen des Antragstellers, der Antragsgegnerin und des Kindes ergibt unter der Voraussetzung, dass als alternativer Vater kein Verwandter des Antragstellers in Betracht kommt, eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit des Antragstellers von 99,99999 %. Die Vaterschaft des Antragstellers ist damit praktisch erwiesen. (…)“
Zusammenfassung:
- Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Feststellung der Vaterschaft gegen den Willen der mit einer Frau verheirateten Mutter bei Zeugung eines Kindes mittels Samenspende (sogenannte Becherspende).