Wann ist ein Gutachter „extern“ im Sinne des § 463 IV S. 3 StPO?
Bundesverfassungsgericht, Beschl. v. 14.1.2021 – 2 BvR 2032/19
Der Bf. wurde durch Urteil des LG Freiburg – Jugendkammer – vom 4.2.2016 des sexuellen Missbrauchs eines Kindes, des Missbrauchs von Notrufen und der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten in Tateinheit mit Missbrauch von Notrufen und mit Vortäuschen einer Straftat schuldig gesprochen; einbezogen wurde ein Urteil des AG Titisee-Neustadt vom 26.6.2014, durch das dem Bf. wegen Beleidigung und Diebstahl in 4 Fällen, davon in 1 Fall in 4 tateinheitlichen Fällen und in 1 Fall in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, die Ableistung gemeinnütziger, unentgeltlicher Tätigkeit auferlegt worden war. Die Jugendkammer ordnete seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wobei sie von der Verhängung einer Jugendstrafe absah. Das LG Freiburg stellte beim Bf. eine verminderte Schuldfähigkeit i. S. des § 21 StGB fest, da er seit Jahren an einer schweren hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens leide. Wegen ihres progredienten Verlaufes seien ohne eine Behandlung weitere den Anlassstraftaten vergleichbare Taten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwarten. Seit dem 12.2.2016 wird die angeordnete Maßregel in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des P-Klinikums in K vollstreckt; dort befindet sich der Bf. seit dem 31.3.2016 mit kurzzeitigen Unterbrechungen auf der geschlossenen sozialtherapeutischen Station.Â
Zur Vorbereitung der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung hörte das AG den Bf. am 8.2.2019 persönlich an. Gegen die Beauftragung des vom Jugendvollstreckungsleiter in Aussicht genommenen Sachverständigen Dr. W äußerten der Bf. und sein Pflichtverteidiger auf Befragen keine Bedenken. Daraufhin wurde Dr. W als Sachverständigen mit der Begutachtung des Bf. beauftragt. In der Folgezeit bat der Bf. das AG um Ãœberprüfung des Gutachtenauftrags, da der Sachverständige u. a. beim P-Klinikum in K beschäftigt und daher keine externe Begutachtung gegeben sei; ein Interessenkonflikt könne nicht ausgeschlossen werden. Die Bf. lehnte den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit schließlich ab.Â
Mit angegriffenem Beschluss vom 29.8.2019 ordnete das AG erneut die Fortdauer der Unterbringung an. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Untergebrachten verwarf das LG mit angegriffenem Beschluss vom 7.10.2019.Â
Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.Â
Aus den Gründen:Â
Um der Gefahr vorzubeugen, dass die jährlich vorzunehmende Ãœberprüfung der Fortdauer der Unterbringung durch die Strafvollstreckungskammer lediglich routinemäßig an die vorangegangenen Entscheidungen anknüpft, muss die Strafvollstreckungskammer ab einer Unterbringungsdauer von sechs Jahren alle zwei Jahre, vorher alle drei Jahre einen externen Sachverständigen mit der Erstellung eines Prognosegutachtens beauftragen. Nach dem Wortlaut genügt es insoweit, dass der Sachverständige nicht in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeitet, in dem sich die untergebrachte Person befindet.Â
Das Bundesverfassungsgericht legt diesbezüglich in der hier dargestellten Entscheidung einen strengen Maßstab an:Â
„… II. Die angegriffenen Beschlüsse des AG Landau i. d. Pf. und des LG Landau i. d. Pf. verletzen den Bf. in seinem Grundrecht aus Art. 2 II 2 i. V. mit Art. 104 I 1 GG, weil sie jedenfalls auf einer Verletzung des Gebots bestmöglicher Sachaufklärung beruhen.Â
… b) Im Rahmen des „Gebotes der bestmöglichen Sachaufklärung“ besteht bei Prognoseentscheidungen, bei denen geistige und seelische Anomalien in Frage stehen, in der Regel die Pflicht, einen erfahrenen Sachverständigen hinzuzuziehen. Dies gilt in Sonderheit dort, wo die Gefährlichkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten zu beurteilen ist (…). Daraus folgt zwar noch nicht, dass bei jeder nach § 67 e II StGB vorzunehmenden Ãœberprüfung der Unterbringung von Verfassungs wegen zwingend ein ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen wäre (…). Nicht bei jeder Ãœberprüfung der Unterbringung muss der gleiche Aufwand veranlasst sein (…).Â
Befindet sich der Untergebrachte seit langer Zeit in ein und demselben psychiatrischen Krankenhaus, ist es aber in der Regel geboten, von Zeit zu Zeit einen anstaltsfremden Sachverständigen hinzuzuziehen, um der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen vorzubeugen (…) und um auszuschließen, dass Belange der Anstalt oder die Beziehung zwischen Untergebrachtem und Therapeuten das Gutachten beeinflussen (…).Â
Vor dem Hintergrund dieser das Maßregelvollstreckungsverfahren generell beherrschenden verfassungsrechtlichen Vorgaben hat sich der Gesetzgeber entschlossen, das Freiheitsgrundrecht des in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten einfachrechtlich prozedural besonders abzusichern. § 463 IV StPO sieht in der geltenden Fassung vom 1.8.2016 … vor, dass im Rahmen der Ãœberprüfungen nach § 67 e StGB das Gericht nach jeweils 3 Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines Sachverständigen einholen soll (§ 463 IV 2 StPO), der nicht in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeiten darf, in dem sich die untergebrachte Person befindet (§ 463 IV 3 Alt. 2 StPO). Die Vorschrift konkretisiert das verfassungsrechtliche Gebot bestmöglicher Sachaufklärung im Strafvollstreckungsverfahren, indem durch die Hinzuziehung eines bisher nicht mit der untergebrachten Person befassten Gutachters, der in kritischer Distanz zu den bisherigen Stellungnahmen steht, der Gefahr von Routinebeurteilungen vorgebeugt und die Prognosesicherheit des Gerichts entscheidend verbessert werden soll (…).Â
Das BVerfG hat bereits zu § 463 IV 2 Alt. 2 StPO a. F. – der ebenfalls vorsah, dass der Sachverständige nicht in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeiten darf, in dem sich die untergebrachte Person befindet – entschieden, dass die Einhaltung dieser Vorgaben ein Verfassungsgebot darstellt. Art. 104 I GG nimmt den schon in Art. 2 II 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn dergestalt, dass die Einhaltung der Formvorschriften eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes zum Verfassungsgebot erhoben wird. Die Verletzung der freiheitsschützenden Form des Gesetzes wird damit zu einem Verfassungsverstoß, dem der Betr. mit der Verfassungsbeschwerde entgegentreten kann (…).“Â
Sodann macht das Bundesverfassungsgericht seinen Prüfungsmaßstab deutlich. Danach ist es grundsätzlich Sache der Fachgerichte, das (einfache) Recht unter Berücksichtigung der Wertentscheidungen des Grundgesetzgebers richtig anzuwenden; das Bundesverfassungsgericht ist keine „Superrevisionsinstanz“:Â
„Dabei ist die Auslegung und Anwendung des § 463 IV StPO zunächst Aufgabe der FachGer. Ein Eingreifen des BVerfG ist erst gerechtfertigt, wenn die Auslegung und Anwendung der freiheitssichernden Formvorschrift des § 463 IV 3 StPO mit Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts nicht zu vereinbaren ist oder sich als objektiv willkürlich erweist (…).
Die FachGer. haben bei Auslegung und Anwendung der prozeduralen Sicherungen des Freiheitsgrundrechts allerdings zu berücksichtigen, dass die materiellen Freiheitsgarantien des Art. 2 II 2 GG unter den grundrechtlich verbürgten Rechten ein besonderes Gewicht haben und die Freiheit des Einzelnen nur in einem mit wesentlichen formellen Garantien ausgestatteten Verfahren entzogen werden darf. Daher sind Inhalt und Reichweite der Formvorschriften eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes von den FachGer. so auszulegen, dass sie eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung entfalten, schon um einer Aushöhlung und Entwertung des Grundrechts über das Verfahrensrecht entgegenzuwirken (…).Â
2. Diesen Maßstäben genügen die angegriffenen Beschlüsse nicht.Â
a) Die zu treffende Fortdauerentscheidung unterlag der Sollvorschrift des § 463 IV 2 StPO, da die dort vorgesehene 3-Jahres-Frist am 12.2.2019 abgelaufen war. Die Ãœberprüfungsentscheidung hatte daher grundsätzlich auf der Grundlage eines externen Prognosegutachtens zu ergehen. Gründe für eine nur in engen Grenzen zulässige (…) Ausnahme von der Sollvorschrift sind weder behauptet noch ersichtlich. Vor diesem Hintergrund sind die FachGer. selbst davon ausgegangen, dass eine externe Begutachtung des Bf. rechtlich geboten war. Demgemäß waren aber auch die gesetzlichen Vorgaben für eine Gutachterauswahl nach § 463 IV 3 StPO zu beachten. Insbesondere kam daher als Sachverständiger nicht in Betracht, wer „in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeitet, in dem sich die untergebrachte Person befindet“ (§ 463 IV 3 Alt. 2 StPO).Â
b) Die Auslegung und Anwendung der Vorgabe des § 463 IV 3 Alt. 2 StPO in den angegriffenen Beschlüssen tragen der Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts des Bf. nicht hinreichend Rechnung. Bei einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Auslegung der Norm war vorliegend für eine Berufung von Dr. W zum Sachverständigen kein Raum.Â
(…) Das AG setzt sich in seinem angegriffenen Beschluss vom 29.8.2019 lediglich mit der Frage einer möglichen Befangenheit des Sachverständigen Dr. W auseinander. Insoweit führt es aus, dass der Sachverständige zu 50 % seiner Arbeitskraft Angestellter des Klinikums für Forensische Psychiatrie des P-Klinikums sei. Er sei weder im Rahmen des Forensischen Klinikums für den stationären Sektor zuständig, noch befinde er sich in irgendeinem Arbeits- oder Unterstellungsverhältnis zur Jugendvollstreckungseinrichtung der sozialtherapeutischen Abteilung. Ob damit die Voraussetzungen des § 463 IV 3 Alt. 2 StPO vorliegen, wird nicht erörtert. Auch fehlt es an jedweder Auslegung des Begriffs des psychiatrischen Krankenhauses i. S. dieser Norm.Â
(…) Das LG meint im angegriffenen Beschluss vom 7.10.2019, dass § 463 IV 3 Alt. 2 StPO einer Berufung des Sachverständigen Dr. W nicht entgegenstehe, da dieser in der forensischen Ambulanz des Klinikums für Forensische Psychiatrie beschäftigt sei, während der Bf. sich im „P-Institut“ befinde. Der Sachverständige sei weder mit der Behandlung des Bf. befasst gewesen, noch arbeite er in dem psychiatrischen Krankenhaus, in dem die Unterbringung vollzogen werde.Â
(…) Diese Ausführungen tragen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Auslegung von § 463 IV 3 Alt. 2 StPO nicht Rechnung. Vielmehr ergibt eine das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 II 2 GG berücksichtigende Auslegung der Norm, dass das Verbot der Bestellung eines in der Unterbringungseinrichtung tätigen Sachverständigen eingreift, wenn – wie hier – der Arbeitsbereich des Sachverständigen und die die Unterbringung vollstreckende Abteilung des psychiatrischen Krankenhauses zu einer betrieblichen Einheit gehören und zudem ein gemeinsamer Krankenhausträger sowie eine gemeinsame Rechtsform mit gemeinsamer Leitungs- und Verwaltungsebene bestehen.“Â
Bei der Auslegung des fraglichen Tatbestandsmerkmals bedient sich das Bundesverfassungsgericht der klassischen Methoden nach Wortlaut, systematischer Stellung, Sinn und Zweck der Vorschrift, sowie der historischen Auslegung:Â
„Bereits der Wortlaut von § 463 IV 3 Alt. 2 StPO spricht dafür, dass die bloße organisatorische und räumliche Unterteilung einer psychiatrischen Anstalt in einzelne fachspezifische Kliniken die Annahme desselben psychiatrischen Krankenhauses nicht ausschließt. Vielmehr wird auf das psychiatrische Krankenhaus in Gänze und nicht auf dessen einzelne Abteilungen abgestellt.Â
Zwar bleibt bei dem Begriff „Krankenhaus“ offen, ob damit der Krankenhausträger, das Krankenhaus als betriebliche Einheit oder die Betriebsform gemeint ist, in welcher ein Krankenhaus geführt wird (…). Vorliegend ist aber sowohl eine bauliche und betriebliche Einheit (P-Klinikum K mit gemeinsamem Internetauftritt, gemeinsamer Adresse und unmittelbarer baulich-räumlicher Nähe der einzelnen Kliniken) als auch ein gemeinsamer Krankenhausträger (Bezirksverband Pfalz) sowie eine übergeordnete gemeinsame Rechtsform (P-Klinikum für Psychiatrie und Neurologie – Anstalt des öffentlichen Rechts -) mit einer eigenen, den einzelnen Kliniken übergeordneten Leitungs- und Verwaltungsebene gegeben, so dass von demselben „Krankenhaus“ auszugehen ist.Â
(…) Dieses Ergebnis wird durch die systematische Auslegung der Norm bestätigt. Insoweit ist davon auszugehen, dass die Bestellung eines Sachverständigen, der im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen war, bereits durch § 463 IV 3 Alt. 1 StPO ausgeschlossen wird. Käme es für die Anwendbarkeit von § 463 IV 3 Alt. 2 StPO darauf an, dass der Sachverständige in derselben fachspezifischen Klinik tätig ist, in der der Untergebrachte aktuell behandelt wird, verbliebe für diese Regelungsalternative regelmäßig nur ein eng begrenzter eigenständiger Anwendungsbereich. Dies spricht dafür, dass es im Rahmen dieser Regelungsalternative nicht auf die Zugehörigkeit zu der mit der Behandlung des Untergebrachten befassten Betriebseinheit, sondern allein auf die Zugehörigkeit zur die Maßregelvollstreckung betreibenden Unterbringungseinrichtung ankommt.Â
(…) Nichts anderes ergibt sich mit Blick auf Sinn und Zweck der Norm. Diese ist darauf gerichtet, dem verfassungsrechtlichen Gebot bestmöglicher Sachaufklärung Rechnung zu tragen. Durch die Heranziehung von anstaltsfremden Sachverständigen soll der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen vorgebeugt (…) und ausgeschlossen werden, dass Belange der Anstalt oder die Beziehung zwischen Untergebrachtem und Therapeuten das Gutachten beeinflussen (…). Auch soll hierdurch eventuellen hierarchischen (Loyalitäts-)Konflikten, denen ein Sachverständiger unter Umständen ausgesetzt sein könnte, entgegengewirkt werden (…).Â
Zwar mag die Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen auch durch einen Sachverständigen, der innerhalb eines Klinikums einer anderen Fachklinik oder sonstigen Betriebseinheit als jener angehört, in der die Maßregel vollstreckt wird, in einem gewissen Umfang vermindert werden können. Es ist jedoch in diesem Fall nicht auszuschließen, dass betriebswirtschaftliche Belange der Anstalt oder persönliche Bekanntschaften mit den den Untergebrachten Behandelnden die Gutachtenerstellung beeinflussen. Hinzu kommt, dass es einer übergeordneten Vollzugsklinik dann möglich wäre, durch organisatorische und räumliche Maßnahmen die Voraussetzungen einer „externen“ Begutachtung eigener Probanden durch eigenes Personal zu schaffen.Â
(…) Die historische Auslegung von § 463 IV Alt. 2 StPO bestätigt dieses Ergebnis.Â
(…) Der Gesetzgeber hat im Gesetzgebungsverfahren zum Erlass des Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 des StGB und zur Änderung anderer Vorschriften vom 8.7.2016 ausgeführt (….), dass eine grundsätzlich alle 3 Jahre erfolgende externe Begutachtung eine objektivere Beurteilung der einer Unterbringung zu Grunde liegenden diagnostischen und prognostischen Einschätzungen sowie der Entwicklungen im Rahmen der in Anspruch genommenen Therapieangebote im Maßregelvollzug ermögliche. Die Erhöhung der Frequenz unterstreiche den bereits vom BVerfG betonten Gesichtspunkt, dass das Gutachten nicht durch „Belange der Maßregelvollzugseinrichtung“ beeinflusst werden solle. Mit einer externen Begutachtung werde schon dem bloßen Anschein entgegengetreten, der Inhalt des Gutachtens könne womöglich auch durch das Interesse an der Auslastung der Einrichtung und deren wirtschaftlichem Erfolg mitbestimmt sein. Zudem wiesen Einzelstudien darauf hin, dass unterschiedliche Unterbringungsdauern und Lockerungsentscheidungen wesentlich auch von der jeweiligen Klinik und ihrem Personal abhingen.Â
(…) Dies legt es nahe, den Begriff des psychiatrischen Krankenhauses respektive der Maßregelvollzugseinrichtung wie ausgeführt auszulegen. Denn der Anschein einer Beeinflussung der Begutachtung durch anstaltsinterne Belange kann sich für den Untergebrachten nicht nur ergeben, wenn der Sachverständige in der Fachklinik oder Betriebseinheit tätig ist, innerhalb derer der Untergebrachte sich befindet, sondern auch dann, wenn er in einer anderen Abteilung eines eine Einheit bildenden psychiatrischen Krankenhauses arbeitet. In einem solchen Fall lässt sich nicht von vornherein ausschließen, dass der Inhalt des Gutachtens auch durch das Interesse an der Auslastung der gemeinsamen übergeordneten Einrichtung und deren wirtschaftlichem Erfolg beeinflusst wird.Â
(…) Insgesamt ergibt sich daher, dass es auf Grund des im Freiheitsgrundrecht des Art. 2 II 2 GG wurzelnden Gebots bestmöglicher Sachaufklärung verfassungsrechtlich geboten ist, § 463 IV 3 Alt. 2 StPO dahingehend auszulegen, dass als externer Sachverständiger nicht bestellt werden kann, wer zwar nicht in der Fachklinik oder Betriebseinheit, in der die untergebrachte Person sich befindet, wohl aber in einer anderen Abteilung oder Fachklinik eines sich als übergeordnete Einheit darstellenden psychiatrischen Krankenhauses arbeitet. Daher ist vorliegend der Bf. durch die Benennung des Sachverständigen Dr. W in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 II 2 i. V. mit Art. 104 I 1 GG verletzt.Â
(…) Dem steht nicht entgegen, dass der Bf. nach Darstellung des AG in der mündlichen Anhörung vom 8.2.2019 zunächst keine Einwände gegen die Bestellung des Sachverständigen Dr. W erhoben hat.Â
Ungeachtet der Frage, ob § 463 IV 3 StPO als zwingende Norm zur Auswahl eines anstaltsfremden, externen Gutachters (…) einem Verzicht durch den Untergebrachten überhaupt zugänglich ist, hat der Bf. jedenfalls nach Kenntniserlangung von der Beschäftigung des Sachverständigen Dr. W bei der Klinik für Forensische Psychiatrie des P-Klinikums der Bestellung widersprochen und einen Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit gestellt. Dass vor diesem Hintergrund der in Unkenntnis der Beschäftigung des Sachverständigen Dr. W beim P.-Klinikum abgegebenen Erklärung eine den Verstoß gegen das gesetzliche Gebot des § 463 IV 3 Alt. 2 StPO heilende Wirkung zukommen soll, erschließt sich nicht. …“Â
Zusammenfassung:Â
Auf Grund des im Freiheitsgrundrecht des Art. 2 II 2 GG wurzelnden Gebots bestmöglicher Sachaufklärung ist es verfassungsrechtlich geboten, § 463 IV 3 Alt. 2 StPO dahingehend auszulegen, dass als externer Sachverständiger nicht bestellt werden kann, wer zwar nicht in der Fachklinik oder Betriebseinheit, in der die untergebrachte Person sich befindet, wohl aber in einer anderen Abteilung oder Fachklinik eines sich als übergeordnete Einheit darstellenden psychiatrischen Krankenhauses arbeitet.Â