Verhängung von Ordnungsmitteln wegen Ungebühr (Sitzenbleiben während Urteilsverkündung)
OLG Hamm, Beschl. v. 23.7.2024 − 3 Ws 257/24
Aus dem Sachverhalt:
Am 23.1.2024 verhandelte das AG – Strafrichterin – Siegen in einer Strafsache gegen den Bf. und verurteilte ihn mit an diesem Tage verkündetem Urteil wegen Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung. Gegen Ende des Hauptverhandlungstermins verhängte das AG gegen den Verurteilten zudem ein Ordnungsgeld iHv 150 EUR, ersatzweise drei Tage Ordnungshaft.
In dem Hauptverhandlungsprotokoll heißt es ua wie folgt:
„Der Angekl. unterbricht ebenfalls mehrfach das Plädoyer.
…
Sodann erfolgte die Urteilsverkündung.
Der Angekl. erhob sich zunächst nicht, mit Verweis auf Schmerzen in seiner Schulter.
Dem Angekl. wurde angedroht, sollte er sich nicht zur Urteilsverkündung erheben, dass ein Ordnungsgeld gegen ihn festgesetzt wird.
Der Angekl. verweigerte sich weiterhin, obwohl er bei seinem letzten Wort extra betont hat, dafür aufstehen zu wollen und auch gestanden hat.
Der Angekl. unterbrach weiterhin mehrfach während der Urteilsverkündung das Gericht.
Ihm wurde erneut ein Ordnungsgeld angedroht.
Der Angekl. sprach immer weiter und äußerte nach jedem weiteren Versuch des Gerichts das Wort zu ergreifen „Ich will hier eine faire Verhandlung“ und wiederholte dies immer wieder.
Auch der im Publikum befindlichen Freundin musste wieder ein Ordnungsgeld angedroht werden, sollte sie sich nicht zurückhalten.
Beschlossen und verkündet:
Gegen den Angekl. wird ein Ordnungsgeld iHv 150 EUR, ersatzweise 3 Tage Ordnungshaft festgesetzt.“
Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Verurteilten hat keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
„(…) 2. Die Beschwerde des Verurteilten ist in der Sache unbegründet.
Die formellen Voraussetzungen für die Festsetzung des Ordnungsgeldes sind (noch) erfüllt.
Ist ein Ordnungsmittel wegen Ungebühr festgesetzt, so ist der Beschluss des Gerichts und dessen Veranlassung in das Protokoll aufzunehmen, § 182 GVG. Der notwendige Inhalt des Protokolls ergibt sich aus dem Zweck der Protokollierung, den gesamten Geschehensablauf, der zu dem Beschluss geführt hat, unter dem unmittelbaren frischen Eindruck des Geschehens schriftlich niederzulegen, um dem Beschwerdegericht ein möglichst objektives, von Erinnerungsfehlern freies und so umfassendes Bild des tatsächlichen Vorgangs zu geben, dass es Grund und Höhe des Ordnungsmittels in der Regel ohne weitere Ermittlungen nachprüfen kann. Bei der Festsetzung eines Ordnungsmittels wegen Ungebühr muss im Protokoll der Vorfall so deutlich festgehalten sein, dass das Beschwerdegericht den Grund und die Höhe der Sanktion ohne eigene Erhebungen überprüfen kann (…). Eine solche präzise Protokollierung ist deshalb geboten, weil eine nachträgliche Ergänzung des Protokollierten vor dem Hintergrund des oben dargestellten Zwecks der Vorschrift nicht zulässig ist (…).
Diesen Anforderungen ist das Gericht noch gerecht geworden.
Die Veranlassung zur Ordnungsgeldverhängung ist hinreichend protokolliert worden. Aus der unter I. dargestellten Protokollierung ergibt sich zunächst, dass das Nichterheben zur Urteilsverkündung sowie später das mehrfache Unterbrechen des Gerichts durch den Verurteilten während der Urteilsbegründung Anlass für die Verhängung des Ordnungsgeldes war, was im Protokoll auch jeweils näher hinsichtlich des objektiven Geschehensablauf konkretisiert worden ist.
Der Ordnungsgeldbeschluss ist auch in das Sitzungsprotokoll aufgenommen worden. Soweit der Beschluss entgegen § 34 StPO nicht begründet worden ist, führt dieser Mangel, der im vorliegenden Fall auch nicht durch den gesetzlich nicht vorgesehenen Nichtabhilfebeschluss vom 18.6.2024 behoben werden konnte, im vorliegenden Fall nicht zur Aufhebung der Ordnungsmittelanordnung.
Denn es reicht aus, wenn auf Grund der durch § 182 GVG vorgeschriebenen Protokollierung des den Beschluss veranlassenden Geschehens für den Betroffenen der Anordnungsgrund außer Zweifel steht und für das Beschwerdegericht die Festsetzung des Ordnungsgeldes in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht dem Grunde und der Höhe nach überprüfbar ist (…). Dies ist hier der Fall. Für den Verurteilten bestand kein Zweifel daran, aus welchem Grund gegen ihn das Ordnungsgeld verhängt worden ist. Wie sich dem Protokoll entnehmen lässt, hat das Gericht ihn nach seinen Fehlverhaltensweisen jeweils ausdrücklich die Verhängung eines Ordnungsgeldes angedroht; hinsichtlich der durch den Verurteilten erfolgten Unterbrechungen ist er bereits vor der Androhung des Ordnungsgeldes bereits zweimal seitens des Gerichts ermahnt worden, indem dessen Störung entsprechend protokolliert worden ist.
Dem Verurteilten ist vor Verhängung des Ordnungsgeldes schließlich auch rechtliches Gehör gewährt worden.
Das Gericht hat – wie bereits ausgeführt – den Verurteilten hinsichtlich beider oben beschriebener Fehlverhaltensweisen jeweils die Verhängung eines Ordnungsgeldes angedroht und ihm damit zugleich die Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt, von der er jedenfalls hinsichtlich des Nichterhebens zur Urteilsverkündung auch ausdrücklich Gebrauch gemacht hat. Im Übrigen ist ein Absehen von der vorherigen Anhörung der betroffenen Person gerechtfertigt, wenn die Ungebühr und der Ungebührwille völlig außer Frage stehen und die Anhörung nur zu weiteren Ausfällen Gelegenheit gäbe (…) Dies war hier der Fall, nachdem der Verurteilte ausweislich der Protokollierung auf jeden weiteren Versuch des Gerichts das Wort zu ergreifen, immer wieder mit dem Satz reagierte, dass er eine faire Verhandlung wolle.
Auch die materiellen Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsgeldes sind gegeben.
Gem. § 178 Abs. 1 S. 1 GVG kann gegen Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen, die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, vorbehaltlich der strafgerichtlichen Verfolgung ein Ordnungsgeld bis zu 1.000 EUR oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt und sofort vollstreckt werden.
Ungebühr iSd § 178 Abs. 1 GVG ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizförmigen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und damit auf die Würde des Gerichts (…).
Ein ungebührliches Verhalten des Verurteilten in diesem Sinne lag zunächst in dem demonstrativen Sitzenbleiben während der Urteilsverkündung trotz entsprechender Aufforderung seitens der Vorsitzenden (…). Die in der Rspr. allgemein vertretene Auffassung, dass hierin ein ungebührliches Verhalten zu erkennen ist, wird von der auch vom Senat geteilten Auffassung getragen, dass die Erfüllung der den Gerichten in einem Rechtsstaat obliegenden Aufgabe, die Wahrheit zu finden und zu einer gerechten Entscheidung zu kommen, eines ordnungsgemäßen Ablaufs gerichtlicher Verhandlung bedarf, zu dem auch die Wahrung gewisser äußerer Formen gehört. Diese haben unter anderem den Sinn, die Bedeutung gewisser Verfahrensabschnitte für alle Anwesende zu verdeutlichen. Deswegen gehört auch die in Nr. 124 Abs. 2 S. 2 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren dargestellte Übung, dass sich bei der Verkündung der Urteilsformel sämtliche Anwesenden von ihren Plätzen erheben, zum ordnungsgemäßen Verfahrensablauf, dessen Nichtbeachtung in aller Regel eine Ungebühr darstellt (…).
Ein ungebührliches Verhalten lag ferner in der mehrfachen Unterbrechung der Vorsitzenden während ihrer Urteilsverkündung. Die Unterbrechung der mündlichen Urteilsbegründung durch Zwischenrufe bzw. „Dazwischenreden“ stört nicht nur den Gang des Verfahrens, sondern missachtet die Würde des Gerichts bei der Erfüllung seines besonderen Verfassungsauftrages. Die Wahrung der äußeren Form bei der Eröffnung der Urteilsgründe ist ein Zeichen selbstverständlicher Achtung der besonderen Bedeutung des richterlichen Auftrages und des Richteramtes (…). Dies gilt erst recht, wenn – wie hier protokolliert – die Störung derart massiv ist, dass dem Gericht nicht nur durch eine vereinzelte, sondern
mehrfache wiederholende Aussage, die auch keine Wahrnehmung berechtigter prozessualer Rechte beinhaltet (…), das Wort zeitweise gänzlich abgeschnitten wird.
Es ist nicht zu beanstanden, dass das Gericht auch im Hinblick auf das Nichterheben des Verurteilten zur Urteilsverkündung – in Bezug auf die Unterbrechungen während der Urteilsbegründung liegt dies auf der Hand – von einer schuldhaft bzw. vorwerfbar begangenen Ungebühr ausgegangen ist. Das Gericht hat den vom Verurteilten vorgebrachten Entschuldigungsgrund – die angeblichen Schmerzen an seiner Schulter – mit tragfähiger Begründung unter Bezugnahme auf sein unmittelbar zuvor gezeigtes Verhalten in seinem letzten Wort (insoweit ist protokolliert, dass er sich dazu habe erheben wollen und sich erhoben hat) als vorgeschoben bewertet. An dieser Bewertung ist seitens des Senats nichts zu erinnern.
Die Höhe des vom AG bestimmten Ordnungsgeldes und der ersatzweise festgesetzten Ordnungshaft begegnen keinen Bedenken. (…)“
Zusammenfassung:
- Bei der Festsetzung eines Ordnungsmittels wegen Ungebühr muss im Protokoll der Vorfall so deutlich festgehalten sein, dass das Beschwerdegericht den Grund und die Höhe der Sanktion ohne eigene Erhebungen überprüfen kann.
- Ein ungebührliches Verhalten kann in dem demonstrativen Sitzenbleiben während der Urteilsverkündung trotz entsprechender Aufforderung seitens des Gerichts sowie in einer (wiederholten) Unterbrechung des Gerichts während der Urteilsverkündung liegen.