Strafbemessung bei Zusammentreffen von Strafen sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung
BGH, Beschluss vom 17.10.2023 – 6 StR 227/23
Aus dem Sachverhalt:
Das LG hat den Angekl. wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt, seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet sowie eine Kompensations- und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Seine hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision hat teilweise Erfolg.
Aus den Gründen:
“1. Der Strafausspruch hat keinen Bestand.
a) Das LG war allerdings nicht gehalten, die zugleich angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 1 StGB) strafmildernd zu berücksichtigen.
aa) Der Senat vermag der Rspr. des 1. und 2. Strafsenats des BGH nicht zu folgen, wonach zu den nach § 46 Abs. 1 S. 2 StGB zu berücksichtigenden Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Angekl. in der Gesellschaft zu erwarten sind, auch die „Wechselwirkung“ zwischen der verhängten Strafe und einer angeordneten Maßregel der Besserung und Sicherung gehören kann (…).
bb) Zwischen Strafe und zugleich angeordneter Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) besteht grundsätzlich keine Abhängigkeit, die eine tatgerichtliche Erörterungspflicht nach § 267 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO begründen könnte (…). Hiernach sind in den Urteilsgründen die für die Zumessung der Strafe bestimmenden Umstände anzuführen. Bestimmend sind Tatsachen, die ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe für die tatgerichtliche Rechtsfolgenbestimmung tatsächlich von einigem Gewicht sein können, und deren Darstellung und Würdigung sich nach den Maßgaben des konkreten Einzelfalls aufdrängen oder unverzichtbar erscheinen (..).
Gemessen hieran und mit Blick auf die von Strafe und Maßregel im sogenannten zweispurigen strafrechtlichen Sanktionensystem (…) verfolgten unterschiedlichen Zwecke sowie ihre kategorial verschiedenen gesetzlichen Anordnungsvoraussetzungen (…) ist eine zugleich angeordnete Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung nicht zu berücksichtigen.
cc) Zudem bestehen insoweit keine – die verfahrensrechtliche Begründungspflicht (§ 267 Abs. 3 S. 1 StPO) übersteigenden – sachlichrechtlichen Darlegungspflichten.
(1) Zwar kann die Begründung der verhängten Strafe sachlich-rechtlichen Bedenken begegnen, wenn die Urteilsgründe dem Revisionsgericht die ihm obliegende Nachprüfung nicht ermöglichen, die Erwägungen des Tatgerichts einseitig, widersprüchlich, unvollständig oder sonst in sich fehlerhaft sind (…) oder sich die Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, nach oben oder unten löst (…). Dies ist bei einer unterbliebenen Erörterung der zugleich angeordneten Sicherungsverwahrung bereits aus den vorgenannten Gründen aber nicht zu besorgen.
(2) Aus der gesetzlichen Pflicht, die Wirkungen der „Strafe“ in den Zumessungsakt einzustellen (§ 46 Abs. 1 S. 2 StGB), folgt nichts anderes. Im Zeitpunkt der Anordnung der Sicherungsverwahrung ist für das Tatgericht auch kaum vorherzusehen, namentlich ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung auch nach Verbüßung der Strafe noch erfordert (…). Hierüber ist erst vor Ende des Strafvollzugs zu entscheiden (§ 67c Abs. 1 StGB). Insbesondere unter Berücksichtigung des auf die Vermeidung der Maßregelvollstreckung angelegten, behandlungsorientierten Vollzugs (vgl. § 67c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB) ist gerade bei einem mehrjährigen Strafvollzug eine Bewährungsaussetzung nicht fernliegend (vgl. § 67c Abs. 1, § 67d Abs. 2 StGB). Die bestehende Ungewissheit über fortdauernden Freiheitsentzug hat der Täter regelmäßig als vorhersehbare Folge der Tat auf sich genommen; sie vermag deshalb ebenfalls keine Erörterungspflicht auszulösen.
(3) Auch der Rspr. des BVerfG lassen sich tragfähige Anhaltspunkte für eine stets bestehende sachlichrechtliche Erörterungspflicht im Rahmen der Strafbemessung nicht entnehmen (…). Allein im Ausnahmefall, in dem eine Strafe aus spezialpräventiven Gründen bis an die Grenze des noch Schuldangemessenen ausgeschöpft und zugleich eine präventive Maßregel angeordnet wird, soll die tatbezogene Strafe auf den Zweck des Schuldausgleichs „weitgehend“ reduziert sein (…). Daraus allein lässt sich indes kein stets wesentlicher Umstand für die tatgerichtliche Urteilsbegründung herleiten; das gilt erst recht mit Blick darauf, dass die Anordnungs- und die Vollstreckungsregelungen des Maßregelrechts den Auswirkungen der kumulativen Anordnung von Strafe und Sicherungsverwahrung, insbesondere einer drohenden „Entsozialisierung“, hinreichend begegnen (…).
(4) Schließlich begründen die rechtlichen Maßgaben der maßregelbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 62 StGB – nach Wortlaut und Systematik – keine zwingende Erörterung des durch die kumulative Anordnung von Strafe und Sicherungsverwahrung entstehenden Gesamtsanktionenübels (…).”
Zusammenfassung:
- Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ist der Ansicht, dass zu den nach § 46 Abs. 1 S. 2 StGB zu berücksichtigenden Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Angeklagten in der Gesellschaft zu erwarten sind, die „Wechselwirkungen“ zwischen der verhängten Strafe und einer angeordneten Maßregel der Besserung und Sicherung nicht gehören. Zwischen diesen beiden Sanktionen besteht keine Abhängigkeit, die eine tatgerichtliche Erörterungspflicht nach § 267 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO begründen könnte.
- Die rechtlichen Maßgaben der maßregelbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 62 StGB begründen weder nach Wortlaut noch Zweck eine zwingende Erörterung des durch die kumulative Anordnung von Strafe und Sicherungsverwahrung entstehenden Gesamtsanktionenübels.