Freiwilligkeit des Rücktrittsverhaltens
BGH, Beschl. v. 21.9.2022 − 6 StR 332/22 –
Aus den Gründen:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Bedrohung unter Einbeziehung von Geldstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Seine auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
Nach den Feststellungen stach der von mehreren Freunden begleitete Angeklagte mit einem Messer in Richtung des Halses des Geschädigten, um diesen zu verletzen und so seinen zuvor in eine körperliche Auseinandersetzung mit dem Bruder des Geschädigten geratenen jüngeren Bruder „zu rächen“. Dem Angeklagten war bewusst, dass ein Stich in den Halsbereich tödliche Folgen haben kann, was ihm aber gleichgültig war. Unmittelbar nachdem der Angeklagte den Geschädigten, der ausweichen konnte, am Arm und seitlich am Brustkorb getroffen hatte, wurde er von seinen Freunden weggezogen. Bevor die Männer sich kurze Zeit später trennten, bedrohte der Angeklagte den Geschädigten mit den Worten: „Das nächste Mal gibt es Tod“.
Einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Totschlags hat das Landgericht verneint, weil der Angeklagte nicht freiwillig vom Geschädigten abgelassen habe.
Aus den Gründen:
„(…)
Die Verneinung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch erweist sich schon deshalb als durchgreifend rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht keine Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung getroffen hat (…).
Diese waren nicht entbehrlich. Denn nach den Feststellungen ist jedenfalls nicht sicher von einem fehlgeschlagenen Versuch auszugehen, von dem der Angeklagte nicht mehr strafbefreiend hätte zurücktreten können. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass er nach seinem Vorstellungsbild im unmittelbaren Handlungsfortgang noch weitere Ausführungshandlungen hätte vornehmen können, auch nachdem seine Freunde ihn weggezogen hatten.
Der Annahme von Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB steht es nicht von vornherein entgegen, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt. Entscheidend ist vielmehr, ob der Täter nach seinem Vorstellungsbild noch weitere Ausführungshandlungen hätte vornehmen können und damit „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist (…).
Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Diese erfasst die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (…). Um dem neuen Tatgericht eine einheitliche Bewertung zu ermöglichen, hebt der Senat auch die ebenfalls als solche nicht zu beanstandende Verurteilung wegen Bedrohung auf. (…)“
Zusammenfassung:
- Der Annahme von Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB steht es nicht von vornherein entgegen, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt.
- Entscheidend ist vielmehr, ob der Täter nach seinem Vorstellungsbild noch weitere Ausführungshandlungen hätte vornehmen können und damit „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist.