Besorgnis der Befangenheit nach Selbstablehnung
BGH, Beschl. v. 2.4.2020 − 1 StR 90/20
Aus dem Sachverhalt:
Das LG hat den Angekl. wegen Brandstiftung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung, wegen versuchter Brandstiftung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und wegen Brandstiftung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angekl. hat mit einer Verfahrensbeanstandung Erfolg. Die Verfahrensbeanstandung, mit welcher der Angekl. die rechtsfehlerhafte Zurückweisung eines Ablehnungsantrags geltend macht, dringt durch. Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Mit Schreiben vom 10.9.2019 teilte die zum Hauptverhandlungstermin geladene Schöffin V mit, sie habe mit der Kanzlei der Verteidigerin des Angekl. im Scheidungsverfahren, in welchem die Sozietät ihren Ehemann vertrat, „gravierende negative Erfahrungen sammeln dürfen“; daher fühle sie sich aus „privaten Gründen befangen“ und bat den Vorsitzenden um ihre Entpflichtung. Daraufhin lehnte der Angekl. die Schöffin wegen Besorgnis der Befangenheit am 19.9.2019 ab. Das Ablehnungsgesuch wies die Kammer mit Beschluss vom 24.9.2019 als unbegründet zurück.
Die Revision hatte Erfolg.
Aus den Gründen:
Die Verpflichtung „ohne Ansehen der Person zu urteilen“ ist Teil der Eidesformel, die jeder Richter zu Beginn seiner Berufung zu leisten hat.
In Fällen, in welchen aus unterschiedlichen Gründen der Angeklagte sorgt, ein Richter könne befangen sein, ist es möglich, einen Ablehnungsantrag zu stellen.
Wird jener zu Unrecht verworfen, kann dies im Revisionsverfahren – wie vorliegend – zur Aufhebung des Urteils (und der zugrundeliegenden Feststellungen) führen:
„Der Beschwerdeführer beanstandet zurecht die Mitwirkung der Schöffin als erkennender Richterin.
Die Verfahrensrüge genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; insbesondere teilt sie den wesentlichen Inhalt des Ablehnungsantrags vom 19. September 2019 und des Zurückweisungsbeschlusses vom 24. September 2019 mit (…).
Der Zurückweisungsbeschluss hält rechtlicher Überprüfung am Maßstab der § 24 Abs. 2, § 31 Abs. 1 StPO nicht stand. Die von der Schöffin mitgeteilten Bedenken gegen ihre Hinzuziehung zur Verhandlung lassen aus Sicht eines verständigen Angeklagten den Schluss zu, dass sie ihm wegen ihrer Erfahrungen mit der Rechtsanwaltsgesellschaft, welcher seine Verteidigerin angehört, nicht unvoreingenommen gegenübertreten werde.
Zwar ist es für die Befangenheit grundsätzlich unerheblich, ob sich ein Richter für befangen hält; denn es kommt maßgeblich nicht auf dessen Sicht, sondern auf eine objektive Betrachtung der Sachlage an. Teilt der Richter dem Angeklagten aber mit, dass er ihm gegenüber voreingenommen sei, bekundet er eine innere Einstellung zum Angeklagten, die diesem – jedenfalls wenn sie mit nachvollziehbaren objektiven Umständen begründet wird – bei verständiger Würdigung Grund zur Annahme liefert, der betreffende Richter habe eine Haltung gegen seine Person eingenommen, die seine Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflusst (…)
So liegt es hier. Nicht bereits wegen der Auseinandersetzung im Scheidungsverfahren, aber aufgrund des Sinngehalts des Schreibens der Schöffin war zu besorgen, sie würde ihre ablehnende Haltung gegenüber der Sozietät der Verteidigerin auf den Angeklagten erstrecken (…); jedenfalls musste der Angeklagte befürchten, die Schöffin werde Vorbringen der Verteidigerin von vornherein abwertend beurteilen (…).
Ob die Schöffin tatsächlich befangen gewesen ist, ist nicht maßgebend; es genügt eine aus konkreten Umständen verständliche Besorgnis aus der Sicht eines besonnenen Angeklagten (…). Bei einer solchen Verfahrenslage hätte es nahegelegen, eine dienstliche Stellungnahme der Schöffin einzuholen (§ 26 Abs. 3 StPO), mit welcher sie die durch ihr Schreiben ausgelösten Bedenken gegebenenfalls hätte ausräumen können (…). Dadurch, dass die Selbstablehnung der Schöffin weiterhin im Raum stand, musste auch ein verständiger Angeklagter ihre Befangenheit besorgen. (…)“
Zusammenfassung:
- Für die Besorgnis der Befangenheit ist es grundsätzlich unerheblich, ob sich ein Richter für befangen hält; denn es kommt maßgeblich nicht auf dessen Sicht, sondern auf eine objektive Betrachtung der Sachlage an.
- Teilt der Richter dem Angeklagten aber mit, dass er ihm gegenüber voreingenommen sei, bekundet er eine innere Einstellung zum Angeklagten, die diesem – jedenfalls wenn sie mit nachvollziehbaren objektiven Umständen begründet wird – bei verständiger Würdigung Grund zur Annahme liefert, der betreffende Richter habe eine Haltung gegen seine Person eingenommen, die seine Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflusst.