Vaterschaftsanfechtungsrecht der Mutter
BGH, Beschluss vom 18.3.2020 – XII ZB 321/19
Aus dem Sachverhalt:
Das Verfahren hat die Anfechtung der Vaterschaft des Ag. durch die Mutter (ASt.) zum Gegenstand.
Die Ast. und der Ag. hatten seit September 2014 eine Beziehung, trennten sich aber in der Folge mehrfach und waren auch im Zeitraum von September 2015 bis zum März 2016 getrennt. Während dieser Trennung hatte die ASt. Geschlechtsverkehr ausschließlich mit einem anderen Mann, von dem sie – was sie im Februar 2016 feststellte – schwanger wurde. In dem Wissen um diese Umstände und mit dem Ziel, dass das Kind als eheliches des Ag. geboren werden sollte, schlossen dieser und die ASt. am 17.5.2016 die Ehe. Am 11.10.2016 wurde die Tochter K geboren. Im September 2017 trennten sich ASt. und Ag.; die Ehe wurde im Januar 2019 rechtskräftig geschieden.
Im Juli 2018 hat die ASt. beim Amtsgericht die Feststellung beantragt, dass der Ag. nicht der Vater von K sei. Der Ag. ist dem mit dem Einwand entgegengetreten, die ASt. habe ihr Anfechtungsrecht verwirkt. Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Abstammungsgutachtens die beantragte Feststellung ausgesprochen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Ag. hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Ag. seinen Zurückweisungsantrag weiter.
Aus den Gründen:
Während Entscheidungen zur Anfechtung der Vaterschaft durch den (vermeintlichen) Vater häufig sind, findet man deutlich seltener die vorliegende Konstellation einer Anfechtung der Vaterschaft durch die Mutter.
Der BGH erörtert verschiedene Gesichtspunkte, die im Hinblick auf eine mögliche Einschränkung des Anfechtungsrechtes der Mutter zu erwägen sind, verwirft diese im Ergebnis jedoch allesamt:
„Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Für das Anfechtungsrecht der Mutter sei ohne Bedeutung, ob die Vaterschaft auf einer Ehe oder einer Anerkennung beruhe. Die Anfechtungsfrist habe hier mit der Geburt von K begonnen. Es liege auch
weder ein Fall der Verwirkung noch ein Rechtsmissbrauch vor. Das Statusrecht kenne keinen Vertrauenstatbestand. Es sei nämlich zu berücksichtigen, dass die Vaterschaft ganz erhebliche Auswirkungen – insbesondere beim Sorgerecht – auf die Rechtsstellung der Mutter habe. Dementsprechend könne sie auch dann anfechten, wenn sie zuvor einer falschen Vaterschaftsanerkennung zugestimmt habe. Gleiches müsse für den hier zu entscheidenden Fall einer Vaterschaft aufgrund Eheschließung gelten. Die mit der Eheschließung verbundenen Erwartungen der ASt. hätten sich vorliegend erkennbar nicht erfüllt. Anfechtungsgrund sei stets allein das Auseinanderfallen von rechtlicher und leiblicher Vaterschaft. Voraussetzung sei auch nicht, dass die Anfechtung dem Wohl des Kindes diene.
Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Gem. § 1600 Abs. 1 Nr. 3 BGB ist die Mutter berechtigt, die Vaterschaft anzufechten. Nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen ist der Ag. nicht der leibliche Vater von K und die Anfechtungsfrist des § 1600 b Abs. 1, 2 S. 1 BGB gewahrt. Wie das Beschwerdegericht zutreffend ausführt, ist weder die Feststellung nach § 1599 Abs. 1 BGB von weiteren Voraussetzungen abhängig noch das Anfechtungsrecht der ASt. nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausgeschlossen.
Das Anfechtungsrecht der Mutter ist nicht von weiteren Voraussetzungen und insbesondere nicht von einer Kindeswohldienlichkeit abhängig, was nicht auf verfassungsrechtliche Bedenken trifft.
Das Gesetz enthält für die Anfechtung durch die Mutter von der Einhaltung der Anfechtungsfrist abgesehen keine zusätzlichen Voraussetzungen.
Ein eigenes Anfechtungsrecht der Mutter – die zuvor nur als Vertreterin des Kindes die Vaterschaft anfechten konnte – hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts (Kindschaftsrechtsreformgesetz – KindRG) vom 16.12.1997 (BGBl. 1997 I, 2942) mWz 1.7.1998 in § 1600 BGB geregelt. Dabei hat er bewusst davon Abstand genommen, bei der Vaterschaftsanfechtung durch die Mutter eine Kindeswohlprüfung bzw. die Zustimmung des volljährigen Kindes als Anfechtungsvoraussetzung vorzusehen (vgl. BT-Drs. 13/4899, 148 und 13/8511, 70, 72). Nach dem ersten Regierungsentwurf waren in § 1600 Abs. 2 BGB noch diese Voraussetzungen für die Anfechtung der Mutter genannt (vgl. BT-Drs. 13/4899, 6), weil der „zerstörende Rechtsakt“ der Vaterschaftsanfechtung für das Kind mit einem weit höheren Risiko verbunden sei als die die Vaterschaft begründende Vaterschaftsanerkennung, weshalb für Letztere der Mutter ein uneingeschränktes Mitwirkungsrecht eingeräumt werden könne (vgl. BT-Drs. 13/4899, 55). Diese Anfechtungsvoraussetzungen wurden jedoch auf Vorschlag des Bundesrats (vgl. BT-Drs. 13/4899, 148)
und auf Empfehlung des Rechtsausschusses (vgl. BT-Drs. 13/8511, 70, 72) trotz in der Literatur geäußerter Kritik (…) gestrichen.
Der Gesetzgeber ließ sich dabei davon leiten, dass es für eine Differenzierung danach, ob der Mann, die Mutter oder das Kind die Vaterschaft anficht, an ausreichenden Gründen fehle. Dem Interesse der Mutter, die unzutreffende rechtliche Zuordnung des Kindes zu beseitigen, sei kein geringerer Wert als dem entsprechenden Interesse der weiteren Anfechtungsberechtigten beizumessen. Auch die Anerkennung der Vaterschaft solle nach dem Entwurf vom Kindeswohl unabhängig nur mit Zustimmung der Mutter wirksam sein. Die eheliche Vaterschaft sei nicht höher zu bewerten. Aufgrund der Anfechtungsfristen werde die Mutter idR nur innerhalb der ersten zwei Lebensjahre des Kindes von ihrem Anfechtungsrecht Gebrauch machen können. Innerhalb dieses Zeitraums könnten sich persönliche Bindungen des Kindes zu seinem Vater noch nicht in einem solchen Maß entwickeln, dass ein etwa vorhandenes Interesse des Kindes am Fortbestand der Vaterschaft das Anfechtungsinteresse der Mutter überwiegen könnte (vgl. BT-Drs. 13/8511, 70).
An dieser Entscheidung gegen eine Kindeswohlprüfung hat der Gesetzgeber auch bei den nachfolgenden Änderungen der Vorschrift des § 1600 BGB festgehalten. Eine Kindeswohlprüfung ist daher nach geltendem Recht gem. § 1600 a Abs. 4 BGB nur für die Anfechtung erforderlich, die die Mutter als gesetzliche Vertreterin ihres Kindes vornehmen will. Da sie damit allein das Anfechtungsrecht des Kindes geltend macht, kommt es insoweit nur auf dessen rechtliche Interessen und daher darauf an, dass die Anfechtung seinem Wohl dient (…).“
Sodann zerstreut das Gericht die vom Antragsgegner geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken und weist auch den Einwand, die Vaterschaftsanfechtung verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB zurück.
„Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH ist ein rechtsgeschäftlicher Ausschluss des Rechts auf Anfechtung der Vaterschaft nicht möglich, sodass ein Verzicht auf das Anfechtungsrecht wirkungslos ist (…]). Dem Anfechtungsberechtigten soll die vom Gesetz zur Verfügung gestellte Anfechtungsfrist als Überlegungsfrist ungeschmälert zur Verfügung stehen (..). Weil damit auch ein stillschweigender Verzicht ausscheidet, musste der Gesetzgeber in § 1600 Abs. 4 BGB ausdrücklich den Ausschluss des Anfechtungsrechts von Mann und Mutter für den besonderen Fall regeln, dass das Kind mit beider Einwilligung durch künstliche Befruchtung mittels Samenspende eines Dritten gezeugt worden ist.
Allerdings hat der BGH in Erwägung gezogen, dass die Ausübung des Anfechtungsrechts unter besonderen Umständen im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein könne. Für möglich wurde das etwa gehalten, wenn bei kriegsbedingter Hemmung der Anfechtungsfrist um mehrere Jahre der Ehemann
während der gesamten Zeit zum Ausdruck gebracht habe, die Ehelichkeit nicht anfechten zu wollen (…), oder wenn die erfolgreiche Anfechtung das Kind besonders hart treffen würde, weil es seinen wirklichen Erzeuger nicht feststellen könne oder die Auflösung der Vater-Kind-Beziehung die seelische Entwicklung des Kindes beeinträchtigen würde (…).
Die Umstände, die als – unwirksamer – Verzicht auf das Anfechtungsrecht ausgelegt werden könnten, können jedenfalls für sich genommen aber keinen Rechtsmissbrauch wegen widersprüchlichen Verhaltens begründen. Denn andernfalls würde ein unwirksamer Verzicht auf dem Umweg über den Einwand des Rechtsmissbrauchs zum Verlust des Anfechtungsrechts führen (…). Daher schloss nach Auffassung des BGH die Eingehung der Ehe in Kenntnis des Umstands, dass die Braut von einem anderen Mann schwanger war, selbst dann nicht die Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes durch den rechtlichen Vater aus, wenn dieser das Kind nach der Geburt wie sein eigenes behandelt hätte (…).
Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung ist zum einen die Anfechtung der Vaterschaft durch den rechtlichen Vater nicht nur im Fall der bei Vaterschaftsanerkennung vorhandenen Kenntnis vom Mehrverkehr der Mutter möglich (…), sondern sogar bei einer bewusst nicht der biologischen Abstammung entsprechenden Anerkennung der Vaterschaft (…). Zum anderen wird auch die Anfechtung der Mutter, die einer solchen Vaterschaftsanerkennung zugestimmt hat, nicht für rechtsmissbräuchlich gehalten (…).“
Zusammenfassung:
- Das Recht der Mutter auf Anfechtung der Vaterschaft ist nicht von weiteren Voraussetzungen und insbesondere nicht von einer Kindeswohldienlichkeit abhängig.
- Ein rechtsgeschäftlicher Ausschluss des Rechts auf Anfechtung der Vaterschaft ist nicht möglich, sodass ein Verzicht auf das Anfechtungsrecht wirkungslos ist.
- Die Mutter ist nicht nach Treu und Glauben an der Anfechtung der durch Ehe begründeten Vaterschaft gehindert, wenn die Ehe in dem beiderseitigen Wissen, dass die Braut von einem anderen Mann schwanger ist, und mit dem Ziel, dem Bräutigam den Status als rechtlicher Vater zu verschaffen, geschlossen worden ist.