Aufhebung trotz Verständigung – zu spät belehrt?
BGH, Beschluss vom 08. November 2018, 4 StR 268/18
Auch beinahe 10 Jahre nach ihrem Krafttreten bereitet die Vorschrift des § 257c StPO zur Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten immer wieder Schwierigkeiten in der Praxis.
Nichten selten kommt es daher zur Aufhebung einer Entscheidung, mit der eigentlich alle Beteiligten „leben konnten“.
Aus dem Sachverhalt:
Im vorliegenden Fall hat das Landgericht den Angeklagten wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
In der Hauptverhandlung hatte das Gericht bekanntgegeben, dass bei einer bezüglich einer Beihilfe geständigen Einlassung eine Freiheitsstrafe von drei Jahren bis drei Jahre drei Monate für schuldangemessen gehalten würde. Angesichts der Dauer der bislang vollzogenen Untersuchungshaft würde eine Aufhebung des Haftbefehls erfolgen.
Der Angeklagte, die Verteidigerin und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft erklärten, dieser Verständigung zuzustimmen.
Erst im Anschluss hieran belehrte die Vorsitzende den Angekl. über die Voraussetzungen, unter welchen eine Bindungswirkung des Gerichts an den Verständigungsvorschlag entfallen kann, § 257c IV StPO.
Die Verteidigerin gab sodann eine Erklärung zur Sache ab, die vom Angeklagten als richtig bestätigt wurde.
Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Rüge der Verletzung des § 257c Abs. 5 StPO Erfolg.
Aus den Gründen:
(…) „Die Rüge ist begründet. Der von dem Angeklagten gerügte Rechtsfehler liegt vor. Denn die Vorsitzende der Strafkammer hätte den Angeklagten bereits bei Unterbreitung des Verständigungsvorschlags über die in § 257c Abs. 4 StPO geregelte Möglichkeit eines Entfallens der Bindung des Gerichts an die Verständigung belehren müssen. Eine Verständigung ist
regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen nach § 257c Abs. 5 StPO über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist (…).
Das Geständnis des Angeklagten und damit auch das Urteil beruhen auf dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann die Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis nicht ausnahmsweise ausschließen. Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegte Tat auf der Grundlage der Verständigung eingeräumt. Hierauf hat die Strafkammer die Verurteilung gestützt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dem in Deutschland nicht vorbestraften und in Polen wohnhaften Angeklagten die Voraussetzungen für den Wegfall der Bindungswirkung bekannt waren, bestehen nicht…“
Anmerkung:
Vor der Einführung des § 257c StPO waren informelle Absprachen auf dem Gerichtsflur zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft häufig. Auch in sog. Rechtsgesprächen unter Beteiligung des Gerichts aber in der Regel in Abwesenheit des Angeklagten wurde häufig eine Einigung erzielt, der das sodann ausgeworfene Urteil entsprach.
An dieser Verfahrensweise wurde verschiedentlich Anstoß genommen, so dass sich der Gesetzgeber zur Schaffung des § 257c StPO veranlasst sah.
Ob man durch das stark betonte Gebot der Transparenz erfolgreich nach mehr Rechtsstaatlichkeit gestrebt hat, wird unterschiedlich beurteilt.
Fest steht dagegen, dass Revisionen nicht selten mit der Rüge einer Verletzung dieser Vorschrift Erfolg haben.
Vorliegend hatte es die Vorsitzende versäumt, bereits bei Unterbreiten des Verständigungsvorschlags über die Möglichkeit eines Entfallens der Bindungswirkung zu belehren.
Ob dies wirklich gleich mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens unvereinbar ist, wie der BGH annimmt, darf zu Recht bezweifelt werden angesichts des Umstands, dass der Angeklagte im vorliegenden Fall, das Geständnis, auf welchem das Urteil fußt, erst nach der (wenn auch verspäteten) Belehrung abgegeben hat.
Angesichts dessen hätte es zumindest nahe gelegen, jedenfalls das Beruhen des Urteils im Sinne des § 337 I StPO auf diesem Rechtsfehler zu verneinen.