Umziehen und Händewaschen als Arbeitszeit?
BAG, Urt. v. 6.9.2017 – 5 AZR 382/16
Der Kläger ist seit März 1984 bei der Bekl. als Krankenpfleger mit einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden auf Basis eines schriftlichen Arbeitsvertrags, der die Vorschriften des Bundesangestellten-Tarifvertrags (BAT) vom 23.2.1961 in Bezug nimmt, beschäftigt. Die Beklagte ist seit dem 1.3.2014 an einen Haustarifvertrag gebunden, der den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für den Dienstleistungsbereich Krankenhäuser (BTK) im Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) vom 13.9.2005 für anwendbar erklärt. Die Bekl. schloss mit dem Betriebsrat am 5.7.1995 eine Dienstvereinbarung über das Tragen von Dienst- und Schutzkleidung im Kreiskrankenhaus“ (DV), die unter anderem bestimmt, dass die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte und in der Dienstvereinbarung näher bezeichnete Dienst- und Schutzkleidung im Eigentum des Arbeitgebers verbleibt und dem Beschäftigten für die Zeit der dienstlichen Verpflichtung zur Verfügung gestellt wird. Das Tragen der Dienstkleidung während des Dienstes ist verpflichtend, ebenso wie eine auf Grund einer „Arbeitsanweisung Händehygiene“, hygienische Händedesinfektion von 30 Sekunden nach einer Standard-Einreibemethode.
Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger Überstundenvergütung wegen Umkleide- und dadurch veranlasster innerbetrieblicher Wegezeiten geltend gemacht. Hierbei hat er durchschnittlich 12 Minuten je Arbeitstag für das An- und Ablegen der Dienstkleidung und für die Wegezeiten vom Umkleideraum zur Arbeitsstelle angesetzt, worin jeweils auch 30 Sekunden für die Händedesinfektion enthalten waren.
Nach Auffassung des BAG handelt es sich bei den vom Kläger benötigten Umkleidezeiten zum An- und Ablegen der Dienstkleidung im Betrieb und den Wegezeiten vom Umkleideraum zur Arbeitsstelle und zurück um vergütungspflichtige Arbeitszeit nach § 611 Abs. 1 BGB.
Die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers knüpfe nach § 611 Abs. 1 BGB an die Leistung der versprochenen Dienste an. Zu den „versprochenen Diensten“ iSd § 611 BGB zähle nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhänge. Der Arbeitgeber verspreche die Vergütung für alle Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt. „Arbeit“ als Leistung der versprochenen Dienste iSd § 611 Abs. 1 BGB ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses diene.
Arbeitszeit nur bei auffälliger Dienstkleidung
Um vergütungspflichtige Arbeit handele es sich bei dem An- und Ablegen einer besonders auffälligen Dienstkleidung. An der Offenlegung der von ihm ausgeübten beruflichen Tätigkeit gegenüber Dritten habe der Arbeitnehmer außerhalb seiner Arbeitszeit kein objektiv feststellbares eigenes Interesse. Die Notwendigkeit des An- und Ablegens der Dienstkleidung und der damit verbundene Zeitaufwand des Arbeitnehmers – auch zum Aufsuchen der Umkleideräume – beruhe auf der Anweisung des Arbeitgebers zum Tragen der Dienstkleidung während der Arbeitszeit. Daher schulde der Arbeitgeber Vergütung für die durch den Arbeitnehmer hierfür im Betrieb aufgewendete Zeit. Das Ankleiden mit einer vorgeschriebenen Dienstkleidung sei nur dann nicht lediglich fremdnützig und damit keine Arbeitszeit, wenn sie zu Hause angelegt und – ohne besonders auffällig zu sein – auf dem Weg zur Arbeitsstätte getragen werden könne. An der ausschließlichen Fremdnützigkeit fehle es auch, wenn es dem Arbeitnehmer gestattet sei, eine an sich besonders auffällige Dienstkleidung außerhalb der Arbeitszeit zu tragen, und er sich entscheidet, diese nicht im Betrieb an- und abzulegen. Dann diene das Umkleiden außerhalb des Betriebs nicht nur einem fremden Bedürfnis, weil der Arbeitnehmer keine eigenen Kleidungsstücke auf dem Arbeitsweg einsetzen müsse oder sich aus anderen, selbstbestimmten Gründen gegen das An- und Ablegen der Dienstkleidung im Betrieb entscheide.
Auch weiße Dienstkleidung kann auffällig sein
Obwohl die schlichte weiße Dienstkleidung keine Beschriftung aufweist und das im Dienst zu tragende Namensschild abnehmbar war, hat das BAG eine besonders auffällige Dienstkleidung bejaht.
Zwar könne der Arbeitnehmer bei einer ausschließlich in weißer Farbe gehaltenen Kleidung nicht ohne Weiteres einem bestimmten Arbeitgeber zugeordnet werden. Um eine besonders auffällige Dienstkleidung handele es sich jedoch auch, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Ausgestaltung seiner Kleidungsstücke in der Öffentlichkeit mit einem bestimmten Berufszweig oder einer bestimmten Branche in Verbindung gebracht werde. An einer solchen Offenlegung seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber Dritten habe der Arbeitnehmer regelmäßig kein eigenes Interesse. Für die Zuordnung zu einer Branche bzw. einem Berufszweig sei ohne Bedeutung, ob die Dienstkleidung in dezenten oder auffälligen Farben gehalten ist.
Die ausschließlich in der Farbe „Weiß“ gehaltene Dienstkleidung lasse sich im öffentlichen Straßenbild als „auffällig“ zu bezeichnen und lasse typischerweise auf eine Zugehörigkeit des Trägers zu einem Heil- oder hierzu gehörenden Hilfsberuf schließen. Das entspreche auch dem von der Beklagten mit der DV verfolgten Zweck. Durch die besondere Ausgestaltung der Dienstkleidung sollten die Krankenhauspatienten und -besucher die Mitarbeiter des Pflegepersonals als solche erkennen können.
Eine ausschließlich fremdnützige Tätigkeit liege daher auch vor, wenn der Kläger die von der Beklagten dafür eingerichteten Umkleidemöglichkeiten für das Anlegen seiner Dienstkleidung nutze und sich anschließend zu seinem Arbeitsplatz begebe. Dies gelte entsprechend nach Beendigung seiner dienstlichen Tätigkeit.
Ohne Erfolg bleibe die Klage für die vom Kläger geltend gemachte Vergütung für jeweils weitere 30 Sekunden in Bezug auf die Desinfektion seiner Hände. Diese sei nach der „Arbeitsanweisung Händehygiene“ unabhängig vom Umkleidevorgang und den damit verbundenen Wegezeiten bereits im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit vorzunehmen.
Erforderlich ist „schnelles Umziehen“
Zur Ermittlung der konkret erforderlichen Umkleide- und Wegezeiten hat das BAG das Verfahren zurückverwiesen und hierbei angemerkt, dass ein ein modifizierter subjektiver Maßstab anzulegen sei, da der Kläger seine Leistungspflicht nicht frei selbst bestimmen durfte, sondern unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit zu arbeiten hatte. „Erforderlich“ sei daher nur die Zeit, die er für das Umkleiden und den Weg zur und von der Umkleidestelle im Rahmen der objektiven Gegebenheiten unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit benötigte.
Zusammenfassung:
- Beim An- und Ablegen einer besonders auffälligen Dienstkleidung leistet ein Arbeitnehmer vergütungspflichtige Arbeit. Der hierfür notwendige Zeitaufwand ist ausschließlich fremdnützig, weil er auf der Arbeitgeberweisung zum Tragen der Dienstkleidung während der Arbeitszeit beruht.
- Eine Dienstkleidung ist besonders auffällig, wenn der Arbeitnehmer aufgrund ihrer Gestaltung in der Öffentlichkeit einem bestimmten Arbeitgeber oder einem bestimmten Berufszweig beziehungsweise einer bestimmten Branche zugeordnet werden kann. An einer solchen Offenlegung der von ihm ausgeübten beruflichen Tätigkeit gegenüber Dritten hat der Arbeitnehmer kein objektiv feststellbares eigenes Interesse.
- An der Fremdnützigkeit des An- und Ablegens einer besonders auffälligen Dienstkleidung fehlt es, wenn sich der Arbeitnehmer dafür entscheidet, diese nicht im Betrieb an- und abzulegen. Das Umkleiden außerhalb des Betriebs dient dann nicht ausschließlich einem fremden Bedürfnis.