Tötungsvorsatz bei illegalem Autorennen – Rechtsanwalt Schrade
  • Anwaltskanzlei
  • Das Kanzleiteam
  • FAMILIENRECHT
  • STRAFRECHT
  • EIN FALL FÜR DIE AKTEN
  • KONTAKT
  • Menü Menü

Tötungsvorsatz bei illegalem Autorennen

BGH, Urt. v. 01.03.2018 – 4 StR 399/17

Die beiden Täter wurden vom LG Berlin wegen eines illegalen Autorennens auf dem Kurfürstendamm in Berlin verurteilt, das in der Nacht zum 01.02.2016 stattfand. Nach den Feststellungen des Landgerichts befuhren die Verurteilten mit ihren hochmotorisierten Autos den Kurfürstendamm in Berlin in derselben Richtung. Einer der Täter hatte eine Beifahrerin im Fahrzeug. An einer roten Ampel kamen sie nebeneinander zum Stehen und verabredeten sich zu einer Wettfahrt, bei der sie 11 ampelgeregelte Kreuzungen zu überqueren und eine Strecke von zweieinhalb Kilometern zurückzulegen hatten.

Die beiden Täter überfuhren sodann mehrere rote Ampeln und erreichten teilweise Höchstgeschwindigkeiten von 170 km/h, trotz der erlaubten 30 km/h.

Als beide bei rotem Ampelsignal in den letzten Kreuzungsbereich einfuhren, sei den Tätern „spätestens jetzt“ bewusst gewesen, dass ein bei „Grün“ berechtigt in die Kreuzung einfahrender Fahrzeugführer und etwaige Mitinsassen bei einer Kollision mit großer Wahrscheinlichkeit zu Tode kommen würden. Die körperliche Schädigung anderer – auch der Beifahrerin – sei ihnen gleichgültig gewesen; sie hätten es dem Zufall überlassen, ob es zu einem Zusammenstoß mit einem oder mehreren Fahrzeugen im Kreuzungsbereich kommen würde. Die Schädigung bzw. den Tod anderer Verkehrsteilnehmer sowie von Personen im Nahbereich der Kreuzung durch herumfliegende Trümmerteile der Fahrzeuge hätten sie billigend in Kauf genommen. Ob und in welchem Umfang aus Sicht der Verurteilten eine Gefahr (auch) für die eigene körperliche Integrität drohte, hat das LG nicht festgestellt. Es hat die Hypothese aufgestellt, dass sich „die Fahrer solcher Fahrzeuge“ in ihren „tonnenschweren, stark beschleunigenden und mit umfassender Sicherheitstechnik ausgestatteten Autos geschützt, stark und überlegen wie in einem Panzer oder in einer Burg“ fühlten und „jegliches Risiko für sich selbst“ ausblendeten.

In der Kreuzung kollidierte einer der Täter mit dem Fahrzeug eines Geschädigten, der bei „Grün“ in den Kreuzungsbereich eingefahren war. Beide von den Tätern geführten Fahrzeuge kollidierten sodann mit einer Mindestgeschwindigkeit von 140 km/h mit einer Hochbeeteinfassung.

Der geschädigte Zeuge, dessen Fahrzeug durch die Wucht des Aufpralls durch die Luft geschleudert worden war, verstarb noch am Unfallort.
Die Beifahrerin wurde erheblich verletzt.
Der Kopf einer Fußgängerin wurde von vorbeifliegenden Fahrzeugteilen nur um wenige Zentimeter verfehlt. Die Täter wurden leicht verletzt.

Das Landgericht hat die Täter u.a. wegen gemeinschaftlichen Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln schuldig gesprochen.
Der BGH hat dieses Urteil aufgehoben.
Das Urteil sei bereits fehlerhaft, da das LG den falschen Zeitpunkt für das Vorliegen des Vorsatzes gewählt habe:

[13] … [Nach] § 16 Abs. 1 StGB … muss der Vorsatz im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung vorliegen. Fasst der Täter den Vorsatz erst später (dolus subsequens), kommt eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat nicht in Betracht. Aus der Notwendigkeit, dass der Vorsatz bei Begehung der Tat vorliegen muss, folgt, dass sich wegen eines vorsätzlichen Delikts nur strafbar macht, wer ab Entstehen des Tatentschlusses noch eine Handlung vornimmt, die in der vorgestellten oder für möglich gehaltenen Weise den tatbestandlichen Erfolg – bei Tötungsdelikten den Todeserfolg – herbeiführt. Dass dies auf die Tat der Angeklagten zutrifft, lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen.

Im Gegenteil:
[14] Das Landgericht hat einen bedingten Tötungsvorsatz erst – wie sich aus der Wendung ,Spätestens jetzt …‘ ergibt – für den Zeitpunkt festgestellt, als die Angeklagten bei Rotlicht zeigender Ampel in den Bereich der [letzten] Kreuzung … einfuhren. Aus dieser Feststellung … folgt zugleich, dass sich das Landgericht nicht die Überzeugung verschafft hat, dass die Angeklagten den Tod eines anderen
Verkehrsteilnehmers als Folge ihrer Fahrweise schon vor dem Einfahren in den Kreuzungsbereich als möglich erkannten und billigend in Kauf nahmen.
Hatten die Angeklagten indes den Tötungsvorsatz erst beim Einfahren in den Kreuzungsbereich gefasst, könnte ihre Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts nach den dargestellten Grundsätzen nur dann Bestand haben, wenn sie nach diesem Zeitpunkt noch eine Handlung vornahmen, die für den tödlichen Unfall ursächlich war, oder eine gebotene Handlung unterließen, bei deren Vornahme der Unfall vermieden worden wäre.

[15] Feststellungen zu einem solchen unfallursächlichen Verhalten, das vom Tötungsvorsatz der Angeklagten getragen war, hat das Landgericht nicht getroffen …

Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit und Eventualvorsatz nicht gelungen

Einen weiteren Fehler hat der BGH darin gesehen, dass die Feststellungen des Urteils die Annahme eines dolus eventualis nicht tragen und es zudem keine ausreichende Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit enthielten.

[17] In rechtlicher Hinsicht ist … bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit
liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten.

[19] Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände … Dabei ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes. Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts sind jedoch keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Angeklagter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat …

[20] Diesen Anforderungen werden die Beweiserwägungen der Strafkammer nicht gerecht, da sich das angefochtene Urteil mit einem wesentlichen vorsatzkritischen Gesichtspunkt, der möglichen Eigengefährdung der Angeklagten im Fall einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug, nicht in rechtlich tragfähiger Weise auseinandergesetzt hat.

Dem Täter bewusste Eigengefährdung kann für dessen Vertrauen auf einen guten Ausgang sprechen

[21] In Fällen einer naheliegenden Eigengefährdung des Täters – wie hier – ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Zwar gibt es keine Regel, wonach es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der Vornahme einer fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergeht. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen
Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann aber eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat. Dementsprechend muss sich der Tatrichter beim Vorliegen einer solchen Konstellation einzelfallbezogen damit auseinandersetzen, ob und in welchem Umfang aus Sicht des Täters aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für seine eigenekörperliche Integrität drohte …

Als Anhaltspunkte könnten hierbei dabei die Art des genutzten Verkehrsmittels und die
möglichen Unfallrisiken dienen.
Das LG hat an dieser Stelle nach Auffassung des BGH auf einen nicht existenten Erfahrungssatz zurückgegriffen und ein mögliches „Sicherheitsgefühl“ nicht in ausreichender Form begründet.

[24] … Einen Erfahrungssatz, nach dem sich ein bestimmter Typ Autofahrer in einer bestimmten Art von Kraftfahrzeug grundsätzlich sicher fühlt und jegliches Risiko für die eigene Unversehrtheit ausblendet, gibt es indes nicht. Ein entsprechendes Vorstellungsbild ist konkret auf die Angeklagten bezogen zudem nicht belegt. Gerade angesichts der vorliegend objektiv drohenden Unfallszenarien – Kollisionen an einer innerstädtischen Kreuzung mit anderen Pkw oder, wie die Urteilsgründe mitteilen, sogar mit Bussen bei mindestens 139 bzw. 160 km/h – versteht sich dies auch nicht von selbst.

Keine Mittäterschaft ohne Tatplan

Schließlich ließ sich nach Auffassung des Revisionsgerichts auch die Annahme von Mittäterschaft nicht halten, da es bereits an einem gemeinsamen Tatplan fehlte.

[27] … Ein mittäterschaftlich begangenes Tötungsdelikt setzt … voraus, dass der gemeinsame Tatentschluss auf die Tötung eines Menschen durch arbeitsteiliges Zusammenwirken gerichtet ist. Für die Annahme eines mittäterschaftlich begangenen Tötungsdelikts reicht es deshalb nicht aus, dass sich die Täter lediglich zu einem gemeinsamen Unternehmen entschließen, durch das ein Mensch zu
Tode kommt …

[28] … Festgestellt und belegt hat die Strafkammer lediglich, dass sich die Angeklagten bei ihrem Zusammentreffen … auf, die Durchführung eines spontanen Autorennens geeinigt‘ haben … Aus diesen Ausführungen lässt sich indes lediglich die Verabredung und gemeinsame Durchführung eines illegalen Straßenrennens entnehmen. Weder für den Zeitpunkt der Rennverabredung noch für den nachfolgenden Rennverlauf hat das Landgericht eine – zumindest konkludente – Erweiterung des gemeinsamen Tatentschlusses festgestellt …

Zusammenfassung:
  • Wird sich ein Täter erst nach Vornahme der ursächlichen Handlung des bereits eingetretenen oder drohenden Taterfolges bewusst (dolus subsequens), so kann er nicht aus einer vorsätzlichen Begehungstat verurteilt werden.
  • Bei der für die Ermittlung bedingten Vorsatzes erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator. Dabei kann im Zusammenhang mit riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr eine vom Täter erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat.
  • Ein mittäterschaftlich begangenes Tötungsdelikt setzt voraus, dass der gemeinsame Tatentschluss auf die Tötung eines Menschen durch arbeitsteiliges Zusammenwirken gerichtet ist. Es reicht nicht aus, dass sich die Täter lediglich zu einem gemeinsamen Unternehmen entschließen, durch das ein Mensch zu Tode kommt.
  • Zurück zu Strafrecht
März 22, 2023

Freiwilligkeit des Rücktrittsverhaltens

Januar 9, 2023

Fehlerhafte Annahme eines minderschweren Falles eines (besonders schweren) Raubes

Oktober 13, 2022

Strafbefreiender Rücktritt bei mehreren Tatbeteiligten

September 7, 2022

Beweiswert einer Einzellichtbildvorlage

Juni 21, 2022

Kein Strafklageverbrauch durch Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft

Impressum Datenschutz
© Copyright - Kanzlei Schrade

Diskriminierung durch
„junges, dynamisches Team“?
Sportsachen im Kofferraum eines AutosZur Abzugsfähigkeit von Aufwendungen eines Übungsleiters
Nach oben scrollen