Finaler Zusammenhang zwischen Nötigung und Wegnahme beim Raub
BGH, Beschl. v. 7.11.2023 − 4 StR 115/23
Aus dem Sachverhalt:
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen Beleidigung, Betruges und Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung von Geldstrafen aus zwei Strafbefehlen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Angeklagte R. hat das Landgericht wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts und im Fall der Angeklagten R. zudem auf zwei Verfahrensbeanstandungen gestützten Revisionen.
Die Revision der Angeklagten R. hat mit der Sachrüge Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts zum Fall II.1 der Urteilsgründe entschlossen sich die Angeklagten, in die Wohnung der Geschädigten einzudringen und sie dort wegen ihres Verhältnisses mit dem ehemaligen Lebensgefährten der Mutter des Angeklagten K. – auch unter dem Einsatz von Gewalt – zur Rede zu stellen. In der Wohnung der Geschädigten versetzte ihr der Angeklagte K. einen Faustschlag ins Gesicht und weitere Schläge gegen den Kopf. Als die Geschädigte versuchte, sich zu wehren und um Hilfe zu rufen, holte der Angeklagte K. ein Messer aus seiner Tasche und hielt es in Richtung ihres Kopfes. Dabei äußerte er, dass er „die Kinder ficken“ würde, falls sie erneut um Hilfe rufen sollte. Im weiteren Verlauf schlug er weiter auf die Geschädigte ein und trat ihr zumindest einmal gegen den Kopf. Die Angeklagte R. hielt nunmehr den Angeklagten K. zurück. Gleichwohl versetzte auch sie der Geschädigten mehrere Schläge in das Gesicht, da sie das gemeinsame Vorgehen, der Geschädigten einen „Denkzettel zu verpassen“, billigte.
Spätestens in diesem Moment entschloss sich der Angeklagte K. , der erkannt hatte, dass die Geschädigte aufgrund der zuvor angewendeten Gewalt sowie der Bedrohung mit dem Taschenmesser um ihr Leben und die Gesundheit ihrer im Kinderzimmer anwesenden Kinder fürchtete, den Fernseher der Geschädigten zu entwenden. Im Bewusstsein und mit dem Ziel, dass die Geschädigte keinen Widerstand mehr leisten würde, weil sie erneute Schläge oder den Einsatz des Messers befürchtete, trug er den Fernseher in Richtung des Ausgangs der Wohnung. Wie vom Angeklagten beabsichtigt wagte es die Geschädigte unter dem Eindruck der vorangegangenen Misshandlungen sowie des angedrohten Messereinsatzes nicht, sich gegen die Mitnahme des Fernsehers zur Wehr zu setzen.
Die Angeklagte R. forderte die Geschädigte nunmehr auf, ihr Mobiltelefon auszuhändigen. Auch dieser Aufforderung kam die Zeugin aus Angst und unter dem Eindruck der zuvor erlittenen Schläge – wie der Angeklagten bewusst war – nach.
Aus den Gründen:
„Hinsichtlich des Angeklagten K. hält der Schuldspruch wegen besonders schweren Raubes im Fall II.1 der Urteilsgründe revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn die Feststellungen ergeben nicht, dass der Angeklagte zur Ermöglichung der Wegnahme des Fernsehers Gewalt gegen eine Person eingesetzt oder mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gedroht hat.
1. Der Tatbestand des Raubes gemäß § 249 Abs. 1 StGB erfordert den Einsatz von Gewalt gegen eine Person oder die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben als Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme einer Sache. An einer solchen Verknüpfung fehlt es, wenn der Täter zwar Gewalt gegen das Tatopfer richtet, aber den Raubvorsatz erst nach Abschluss der Gewaltanwendung fasst (…). Als Raubmittel kommt auch die konkludente Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben, nämlich der Fortführung der Gewalt, in Betracht. Dafür genügt jedoch weder allein der Umstand, dass die Wirkungen eines ohne Wegnahmevorsatz eingesetzten Nötigungsmittels noch andauern und der Täter dies ausnutzt (…), noch das bloße Ausnutzen der durch die vorangegangene Gewaltanwendung entstandenen Angst eines der Einwirkung des Täters schutzlos ausgelieferten Opfers (…). Vielmehr muss sich den Gesamtumständen einschließlich der zuvor verübten Gewalt die aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung entnehmen lassen, der Täter also in irgendeiner Form schlüssig erklärt haben, er werde einen eventuell geleisteten Widerstand mit Gewalt gegen Leib oder Leben brechen (…).
2. Gemessen hieran tragen die Urteilsfeststellungen die tatgerichtliche Annahme einer Einwirkung der zuvor – ohne Wegnahmeabsicht – angewendeten Gewalt gegen die Geschädigte als aktuelle Drohung mit erneuter Gewaltanwendung durch den Angeklagten K. nicht.
Eine Äußerung des Angeklagten K. in dieser Situation ist nicht festgestellt. Ein anderes bestimmtes Verhalten des Angeklagten, mit dem er die Gefahr für Leib oder Leben deutlich in Aussicht stellt, lässt sich dem Urteil auch in seiner Gesamtheit nicht entnehmen. Der Angeklagte beschränkte sich vielmehr auf die Wegnahmehandlung als solche. Dass das Opfer erwartete, der Täter werde es an Leib oder Leben schädigen, genügt für eine Aktualisierung der Nötigungslage nicht und wird im Übrigen durch die Angaben der Geschädigten auch nicht belegt.
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen besonders schweren Raubes bedingt auch die Aufhebung der Verurteilung wegen der von dem Rechtsfehler nicht betroffenen tateinheitlichen gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 52 StGB. Die Aufhebung im Fall II.1 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
4. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge keinen den Angeklagten K. beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
Die Verurteilung der Angeklagten R. wegen räuberischer Erpressung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung ebenfalls nicht stand, weil die Feststellungen auch hier nicht ergeben, dass die Angeklagte durch Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben die Geschädigte zu einer Vermögensverfügung genötigt hat.
1. Eine räuberische Erpressung nach §§ 253, 255 StGB setzt voraus, dass der Täter Gewalt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben einsetzt, um eine Vermögensverfügung des Opfers herbeizuführen, sodass zwischen beidem nach seiner Vorstellung von der Tat ein finaler Zusammenhang besteht (…). Das bloße Ausnutzen der Angst des zuvor körperlich misshandelten Opfers vor erneuter Gewaltanwendung reicht dafür nicht aus (…). Zwar kann in einem solchen Fall die Annahme naheliegen, der Täter habe dem Opfer durch sein Verhalten zu verstehen gegeben, er werde die zuvor zu anderen Zwecken eingesetzte Gewalt nunmehr zur Erzwingung der erstrebten vermögensschädigenden Handlung des Opfers fortsetzen oder wiederholen (…). Die Annahme einer konkludenten Drohung bedarf aber konkreter Feststellungen und Belege (…).
2. Hieran gemessen tragen die Urteilsfeststellungen nicht die tatgerichtliche Annahme des Fortwirkens der mit anderer Zielrichtung vorgenommenen Gewalt als aktuelle konkludente Drohung durch die Angeklagte R.
Die festgestellte Aufforderung der Angeklagten an die Geschädigte, ihr Mobiltelefon auszuhändigen, stellt eine solche konkludente Drohung noch nicht dar. Zwar hat die Angeklagte damit nach der Gewaltanwendung und vor der Vermögensverfügung eine weitere Handlung vorgenommen. Diesem Verhalten der Angeklagten lässt sich aber ein Erklärungsgehalt, die zuvor eingesetzte Gewalt zur Erzwingung der Vermögensverfügung zu wiederholen, auch unter Berücksichtigung des engen zeitlichen Zusammenhangs nicht hinreichend entnehmen. Es beschränkt sich vielmehr auf die Mitteilung der von der Angeklagten bezweckten Handlung der Geschädigten. Auch unter Berücksichtigung der Angaben der Geschädigten, wonach die Angeklagte sie angeschrien habe, wo sie ihr Handy habe, und sie aufgefordert habe, ihr dieses zu geben, lässt sich den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit ein Verhalten der Angeklagten R. nicht hinreichend entnehmen, das eine aktuelle konkludente Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben enthielt.
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen räuberischer Erpressung bedingt auch die Aufhebung der Verurteilung wegen der von dem Rechtsfehler nicht betroffenen tateinheitlichen gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 52 StGB. Auf die Verfahrensbeanstandungen der Angeklagten R. kommt es danach nicht mehr an.“
Zusammenfassung:
- Der Tatbestand des Raubes gemäß § 249 Abs. 1 StGB erfordert den Einsatz von Gewalt gegen eine Person oder die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben als Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme einer Sache. An einer solchen Verknüpfung fehlt es, wenn der Täter zwar Gewalt gegen das Tatopfer richtet, aber den Raubvorsatz erst nach Abschluss der Gewaltanwendung fasst.
- Als Raubmittel kommt auch die konkludente Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben, nämlich der Fortführung der Gewalt, in Betracht. Dafür genügt jedoch weder allein der Umstand, dass die Wirkungen eines ohne Wegnahmevorsatz eingesetzten Nötigungsmittels noch andauern und der Täter dies ausnutzt, noch das bloße Ausnutzen der durch die vorangegangene Gewaltanwendung entstandenen Angst eines der Einwirkung des Täters schutzlos ausgelieferten Opfers.
- In den Fällen einer konkludenten Drohung muss sich den Gesamtumständen einschließlich der zuvor verübten Gewalt die aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung entnehmen lassen, der Täter also in irgendeiner Form schlüssig erklärt haben, er werde einen eventuell geleisteten Widerstand mit Gewalt gegen Leib oder Leben brechen.