Fehlerhafte Annahme eines minderschweren Falles eines (besonders schweren) Raubes
BGH, Urteil vom 20. Juli 2022 – 2 StR 34/22 –, juris –
Aus dem Sachverhalt:
Der Angeklagte befand sich in einer „angespannten finanziellen Lage“; das genaue Ausmaß seiner Schulden, die vorwiegend aus einer vorangegangenen Beziehung stammten, kannte er nicht. Kurz vor Weihnachten 2019 wurde sein Girokonto gepfändet, sodass er insbesondere den Mietzins nicht mehr entrichten konnte. Der Angeklagte und seine – nichtrevidierende – Lebensgefährtin, die neben Kindergeld lediglich monatliches Elterngeld bezog, wussten nicht, wie sie die Versorgung des gemeinsamen sechs Monate alten Sohnes sicherstellen sollten. Der Angeklagte entschloss sich deshalb dazu, in einem Internetportal zum Schein sexuelle Dienstleistungen seiner Lebensgefährtin anzubieten, die ‚Freier‘ an einen entlegenen Ort zu locken, und sie ohne Gegenleistung unter Vorhalt einer ungeladenen Schreckschusswaffe, die er durch Entfernung der Repetierfeder gebrauchsuntauglich gemacht hatte, zur Übergabe der zuvor vereinbarten Entlohnung in Höhe von in der Regel 300 Euro zu bringen. Seine Lebensgefährtin, die sich als Prostituierte ausgeben sollte, weihte er in die Grundzüge seines Planes ein. Diesem Tatplan entsprechend lockten sie zwischen dem 27. Dezember 2019 und dem 26. Januar 2020 in den Abend- bzw. Nachtstunden interessierte Freier an entlegene Orte. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe hielt der Angeklagte die Schreckschusswaffe an den Hinterkopf des Geschädigten, um seiner Geldforderung Nachdruck zu verleihen. Auch in den Fällen II. 2. und 6. der Urteilsgründe bedrohte der Angeklagte die Geschädigten jeweils mit der Waffe; die Geschädigten kamen der Aufforderung des Angeklagten nach und händigten ihm jeweils die als Entlohnung vereinbarten Geldbeträge aus. Im Fall II. 3. der Urteilsgründe hielt der Angeklagte die Schreckschusswaffe an die Stirn bzw. die Schläfe des Geschädigten, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Nachdem der Geschädigte der Wahrheit zuwider vorgegeben hatte, kein Geld bei sich zu tragen, entschloss sich der Angeklagte „spontan“ mit ihm unter Vorhalt der echt wirkenden Waffe zur Sparkasse zu fahren. Während der Fahrt drohte er mit Konsequenzen für die Familie des Geschädigten, falls dieser etwas „Falsches tun sollte“. Auf der Sparkasse hob der Geschädigte „aus Angst um sein Leben“ 400 Euro ab, die er sodann dem Angeklagten übergab. In zwei Fällen flüchteten die Geschädigten ohne Geldübergabe, weil sie erkannten bzw. „ahnten“, dass die vom Angeklagten verwendete Waffe unecht war (Fälle II. 4. und II. 5. der Urteilsgründe). Der Angeklagte erlangte aus den Taten insgesamt einen Betrag in Höhe von 1.155 Euro. In der Hauptverhandlung entschuldigte sich der Angeklagte bei den Geschädigten und sicherte zu, umgehend 1.155 Euro zur Weiterleitung an diese an die Staatskasse zu zahlen.
Das Landgericht hat die Fälle II. 1., 2. und 6. der Urteilsgründe jeweils als minder schweren Fall der schweren räuberischen Erpressung (§§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 b und Abs. 3 StGB) gewertet, den Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB gemäß § 46a Nr. 2, § 49 Abs. 1 StGB weiter gemildert und den Angeklagten zu Freiheitsstrafen von neun, acht und acht Monaten verurteilt. Im Fall II. 3. der Urteilsgründe hat die Strafkammer einen minder schweren Fall des erpresserischen Menschenraubes (§ 239a Abs. 1 und Abs. 2 StGB) angenommen und eine weitere Milderung gemäß § 46a Nr. 2, § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen. Im Hinblick auf § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB hat sie die Strafe jedoch dem gemäß § 46a Nr. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 250 Abs. 1 StGB (Strafrahmen von sechs Monaten bis 11 Jahre und drei Monate) entnommen; einen minder schweren Fall gemäß § 250 Abs. 3 StGB hat das Landgericht verneint, weil der Angeklagte die „Scheinwaffe durch das Halten an Stirn bzw. Schläfe des Geschädigten besonders martialisch“ verwendet habe. Für diesen Fall II. 3. der Urteilsgründe hat das Landgericht eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verhängt. In den Fällen II. 4. und 5. der Urteilsgründe hat es den gemäß § 46a Nr. 1, § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB zweifach gemilderten Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB zugrunde gelegt und jeweils Freiheitsstrafen von sieben Monaten verhängt. Im Rahmen der Strafrahmenwahl hat das Landgericht die Annahme minder schwerer Fälle u.a. darauf gestützt, dass der Angeklagte lediglich ein „vergleichsweise ungefährliche(s) Mittel“, nämlich eine „Scheinwaffe“ verwendet habe. In den Fällen II. 4. und 5. der Urteilsgründe hat die Strafkammer zwar ausgeführt, dass „allein der Umstand, dass der Angeklagte eine Scheinwaffe verwendete, nicht für sich allein für die Annahme eines minder schweren Falles genügt“; zugunsten sei jedoch einzustellen, dass die Geschädigten in diesen beiden Fällen die objektive Ungefährlichkeit der Waffe erkannt hätten.
Aus den Gründen:
„Die Revision der Staatsanwaltschaft führt mit der erhobenen Sachrüge zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. (…)
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von den Taten und der Persönlichkeit der Angeklagten gewonnen hat, die wesentlichen zumessungsrelevanten Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. In diese Einzelakte der Strafzumessung darf das Revisionsgericht nur bei Vorliegen eines Rechtsfehlers eingreifen, der etwa dann gegeben sein kann, wenn die Erwägungen des Tatrichters in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen anerkannte Strafzwecke verstößt oder die Strafe sich von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, nach oben oder unten löst (…). Das gilt auch, soweit die tatrichterliche Annahme oder Verneinung eines minder schweren Falles zur revisionsgerichtlichen Prüfung steht (…)
bb) Gemessen daran weist die Strafzumessung durchgreifende Rechtsfehler auf.
(1) Die Strafrahmenwahl in den Fällen II. 1., 2. und 6. der Urteilsgründe ist rechtsfehlerhaft, weil die Strafkammer bei der Prüfung, ob hinsichtlich der schweren räuberischen Erpressung der Ausnahmestrafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB zugrunde zu legen war, nicht zugunsten des Angeklagten würdigen durfte, dass er die jeweiligen Geschädigten lediglich mit einer Scheinwaffe bedroht hat. Dies stünde nämlich im Widerspruch zu der Bewertung des Gesetzgebers. Der gegenüber § 250 Abs. 2 StGB mildere Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB wurde gerade auch für den Fall geschaffen, dass der Täter beim Raub oder der räuberischen Erpressung – wie hier – eine nicht funktionsfähige Schusswaffe mit sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden (…). Das schließt es aber aus, das Mitsichführen einer nicht funktionsfähigen Schusswaffe bei der Tat – für sich genommen – als Umstand zu werten, der die Annahme eines minder schweren Falles i.S.d. § 250 Abs. 3 StGB begründen kann (…). Führt der Täter die funktionsunfähige Schusswaffe nicht nur mit sich, sondern setzt er sie – wie hier – bei der Tat zur Bedrohung des Opfers auch noch ein, kann dies bei der Bemessung der Strafe sogar strafschärfend zu berücksichtigen sein (…).
(2) Entsprechendes gilt auch für die Fälle II. 4. und 5. der Urteilsgründe. Wenngleich im Urteil ausgeführt ist, dass „allein der Umstand, dass der Angeklagte eine Scheinwaffe verwendete, nicht für sich allein für die Annahme eines minder schweren Falles genügt“, kann der Senat nicht ausschließen, dass die Strafkammer dem Umstand der Verwendung einer Scheinwaffe gleichwohl im Kontext mit weiteren zu Gunsten des Angeklagten einzustellenden Umständen, etwa der „Kenntnis“ der Geschädigten von der Ungefährlichkeit der Waffe, doch strafzumessungsrechtlich Gewicht eingeräumt hat. Zudem ist im Fall II. 5. der Urteilsgründe eine solche „Kenntnis“ des Geschädigten gerade nicht belegt. (…)“
Zusammenfassung:
Bei der Prüfung, ob zugunsten des Angeklagten von einem minder schweren Fall des (besonders) schweren Raubes ausgegangen werden kann, darf ihm das Gericht nicht zugute halten, lediglich eine Scheinwaffe und keine scharfe Schusswaffe verwendet zu haben. Ein solches Vorgehen stünde im Widerspruch zu der Bewertung des Gesetzgebers. Der gegenüber § 250 Abs. 2 StGB mildere Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. Nr. 1b StGB wurde gerade auch für den Fall geschaffen, dass der Täter beim Raub oder der räuberischen Erpressung eine nicht funktionsfähige Schusswaffe mit sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden. Das schließt es aber aus, das Mitsichführen einer nicht funktionsfähigen Schusswaffe bei der Tat – für sich genommen – als Umstand zu werten, der die Annahme eines minder schweren Falles im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB begründen kann.