Auskunftsanspruch des Unterhaltsberechtigten auch bei hohem Einkommen des Unterhaltspflichtigen?
BGH, Beschluss vom 15.11.2017 – XII ZB 503/16
Die Beteiligten sind getrenntlebende Ehegatten. Im vorliegenden Scheidungsverbundverfahren streiten sie in der Folgesache zum nachehelichen Unterhalt über eine Auskunftsverpflichtung des Ehemanns. Die Beteiligten heirateten 1998. Seit 2012 leben sie getrennt. Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. Die 1956 geborene Ehefrau bezieht eine Rente wegen Berufsunfähigkeit und bewohnt ein in ihrem Alleineigentum stehendes Einfamilienhaus. Der 1954 geborene Ehemann ist als Rechtsanwalt und Notar Seniorpartner einer Sozietät. Zwischen den Beteiligten schwebt ein Verfahren über Trennungsunterhalt, das noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Die Ehefrau nimmt den Ehemann, der sich für „unbegrenzt leistungsfähig“ erklärt hat, im Wege des Stufenantrags noch auf Auskunft über sein von 2013 bis 2015 erzieltes Einkommen sowie entsprechende Vorlage von Belegen in Anspruch.
Das AG hat den Antrag durch Teilbeschluss abgewiesen, weil die Ehefrau wegen des von ihr konkret zu beziffernden Unterhalts auf die Auskunft nicht angewiesen sei. Auf die Beschwerde der Ehefrau hat das OLG dem Antrag im Wesentlichen stattgegeben. Dagegen richtete sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Ehemanns, der die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses erstrebte. Das Rechtsmittel war erfolglos.
Nach § 1580 S. 1 BGB sind die geschiedenen Ehegatten einander verpflichtet, auf Verlangen über ihre Einkünfte und ihr Vermögen Auskunft zu erteilen. Im Scheidungsverbundverfahren besteht die Auskunftspflicht von der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags an. Gemäß § 1580 S. 2 iVm § 1605 S. 1 BGB ist die Auskunft unter Vorlage von Belegen zu erteilen, soweit dies zur Feststellung eines Unterhaltsanspruchs oder einer Unterhaltsverpflichtung erforderlich ist.
Eine Auskunftsverpflichtung besteht dann nicht, wenn feststeht, dass die begehrte Auskunft den Unterhaltsanspruch oder die Unterhaltsverpflichtung unter keinem Gesichtspunkt beeinflussen kann. Ein solcher Ausnahmefall liegt nach Auffassung des BGH nicht vor.
Die Auskunft zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen oder des Unterhaltsberechtigten bezieht sich auf die Umstände, die für die wirtschaftlichen Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs von Bedeutung sind. Solche Voraussetzungen sind vor allem der Bedarf (§ 1578 BGB) und die Bedürftigkeit (§ 1577 BGB) des Unterhaltsberechtigten sowie die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen.
Auskunftspflicht grundsätzlich auch bei konkret feststehendem Bedarf
Der Ausnahmefall, dass ein Auskunftsanspruch mit Blick auf Bedarf, Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit nicht bestehe, liege nicht schon dann vor, wenn die jeweilige Voraussetzung (bzw. ihr Fehlen) in die Darlegungs- und Beweislast des Auskunftsverpflichteten falle. Stehe etwa ein konkreter Bedarf des Unterhaltsberechtigten unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen fest, so entfalle dadurch die Auskunftspflicht noch nicht. Denn der Auskunftsanspruch diene auch dazu, den Unterhaltsberechtigten in die Lage zu versetzen, sich ein Bild von der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu machen und das Prozess- bzw. Verfahrensrisiko verlässlich einschätzen zu können. Auch die Kostenfolge nach § 243 FamFG setze voraus, dass der Unterhaltspflichtige seiner Auskunftsverpflichtung nicht oder nicht vollständig nachgekommen sei, so dass der Gesetzgeber mithin vom Bestehen einer umfassenden, ohne Rücksicht auf die Darlegungs- und Beweislast bestehenden Auskunftsverpflichtung ausgehe.
Für den Auskunftsanspruch genüge die Möglichkeit, dass die Auskunft Einfluss auf den Unterhalt hat. Solange es mithin ohne Kenntnis von den konkreten Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Auskunftspflichtigen nicht ausgeschlossen erscheine, dass die Auskunft nach den ausgeführten Maßstäben für die Bemessung des Unterhalts benötigt wird, bleibe es bei der vollumfänglichen Auskunftspflicht. Diese entfalle erst, wenn die Auskunft unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Einfluss auf den Unterhalt haben kann und daher offensichtlich nicht mehr unterhaltsrelevant sei.
Erkläre sich der auf Auskunftserteilung in Anspruch genommene Unterhaltspflichtige für „unbegrenzt leistungsfähig“, so sei einer solchen Erklärung regelmäßig zu entnehmen, dass er darauf verzichtet, den Einwand fehlender oder eingeschränkter Leistungsfähigkeit zu erheben. Damit sei er im Rahmen der Unterhaltsfestsetzung an der Erhebung dieses Einwands gehindert, so dass das Gericht den Unterhalt grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen festsetzen könne. Dieser Aspekt beziehe sich indessen nur auf die Leistungsfähigkeit. Damit allerdings steht noch nicht fest, dass auch der Unterhaltsbedarf ohne Rücksicht auf die Höhe des Einkommens oder des Vermögens ermittelt werden kann.
Bedarf beim nachehelichen Unterhalt bemisst sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen
Der Bedarf bemisst sich beim nachehelichen Unterhalt gem. § 1578 Absatz 1 S. 1 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Die ehelichen Lebensverhältnisse richten sich wiederum vorwiegend nach dem vorhandenen Familieneinkommen. Der Unterhalt wird dementsprechend in der Praxis bei durchschnittlichen Einkommensverhältnissen in den weitaus meisten Fällen nach einer Quote des Gesamteinkommens der Ehegatten bemessen. Bei dieser Methode wird im Sinne einer tatsächlichen Vermutung davon ausgegangen, dass im Wesentlichen das gesamte Einkommen zu Konsumzwecken verbraucht wird. Dieses wird daher auch bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts nach dem Halbteilungsgrundsatz (für Einkommen aus Erwerbstätigkeit modifiziert um einen Erwerbsanreiz) im Ergebnis hälftig auf beide Ehegatten verteilt.
Bei hohen Einkommen besteht eine Vermutung für teilweise Vermögensbildung
Die Annahme, dass das gesamte vorhandene Einkommen für den Lebensunterhalt der Ehegatten verwendet wird, sei bei besonders günstigen Einkommensverhältnissen allerdings nicht mehr ohne Weiteres gerechtfertigt. Vielmehr liege in diesen Fällen die Vermutung nahe, dass ein Teil des Einkommens der Vermögensbildung zufließt. Da der Unterhalt allein dazu bestimmt ist, den laufenden Lebensbedarf abzudecken, müsse der Unterhaltsberechtigte in solchen Fällen auf geeignete Weise vortragen, in welchem Umfang das Familieneinkommen für den Konsum verbraucht worden ist. Dieser Darlegungslast für seinen Unterhaltsbedarf kann der Unterhaltsberechtigte auf die Weise genügen, dass er den Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen konkret vorträgt.
Gleichwohl bleibe das Einkommen auch dann ein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Darlegung des Bedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Denn auch in diesen Fällen könne der Unterhaltsberechtigte seinen Bedarf im Wege der Quotenmethode ermitteln. Allerdings müsse er dann mangels tatsächlicher Vermutung für den vollständigen Verbrauch der Einkünfte zu Konsumzwecken zusätzlich vortragen, dass und in welchem Umfang die hohen Einkünfte zur Deckung der ehelichen Lebensverhältnisse verwendet worden sind. Wenn der Unterhaltsschuldner dem substanziiert widerspreche, bleibe es bei der Darlegungs- und Beweislast des Unterhaltsberechtigten auch für den vollständigen Verbrauch dieser Einkünfte zu Konsumzwecken. Soweit das Gericht in diesen Fällen stets eine konkrete Darlegung des Unterhaltsbedarfs für notwendig erachtet habe halte es daran nicht fest.
Ab welchem Einkommen eine tatsächliche Vermutung für den vollständigen Verbrauch der Einkünfte zur Deckung des laufenden Lebensbedarfs entfällt, bleibe der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall vorbehalten.
Nicht zu beanstanden sei es, wenn die Tatsachengerichte von einer tatsächlichen Vermutung für den vollständigen Verbrauch des Familieneinkommens ausgingen, wenn dieses das Doppelte des höchsten Einkommensbetrags der Düsseldorfer Tabelle nicht übersteige.
Bei einem Einkommen von mehr als 5500 Euro trägt der Unterhaltsberechtigte die Beweislast für den vollständigen Verbrauch
Soweit das Familieneinkommen über das Doppelte des höchsten Einkommensbetrags der Düsseldorfer Tabelle hinausgehe, habe der Unterhaltsberechtigte mithin, wenn er dennoch Unterhalt nach der Quotenmethode begehrt, die vollständige Verwendung des Einkommens für den Lebensbedarf darzulegen und im Bestreitensfall in vollem Umfang zu beweisen.
Das OLG sei zu Recht davon ausgegangen, dass das Einkommen des Ehemanns für die Bedarfsbemessung bedeutsam bleibe. Auch wenn das Familieneinkommen über das Doppelte des höchsten Einkommensbetrags der Düsseldorfer Tabelle hinausginge, wäre diesem die mögliche Relevanz für die Bedarfsbemessung dadurch noch nicht genommen. Denn es bliebe der Ehefrau auch in diesem Fall möglich, ihren Unterhaltsbedarf ausgehend von einer Einkommensquote zu beziffern. Dass sie dann für den vollständigen Verbrauch des Einkommens in vollem Umfang darlegungs- und beweisbelastet wäre, schließe die Unterhaltsrelevanz der Einkommensauskunft des Ehemanns noch nicht aus. Denn auch dann könne das Einkommen weiterhin ein wichtiger Anhaltspunkt für das Konsumverhalten der Ehegatten während des Zusammenlebens sein und damit die Darlegung des Unterhaltsbedarfs in zulässiger Weise erleichtern.
Die Erklärung des Ehemanns, er sei „unbegrenzt leistungsfähig“, mache seine Einkommensauskunft daher nicht überflüssig. Denn die Erklärung mache nur Feststellungen zur Leistungsfähigkeit entbehrlich, nicht aber zum Bedarf, für dessen Darlegung das Einkommen weiterhin einen geeigneten Ansatzpunkt bildet.
Zusammenfassung:
- Der Anspruch auf Auskunft über das Einkommen des Unterhaltspflichtigen ist bereits gegeben, wenn die Auskunft für den Unterhaltsanspruch Bedeutung haben kann.
- Bis zu einem ein Familieneinkommen bis zur Höhe des Doppelten des höchsten in der Düsseldorfer Tabelle ausgewiesenen Einkommensbetrags besteht eine tatsächliche Vermutung, dass es vollständig für den Lebensbedarf der Familie verwendet worden ist. Der Unterhaltsbedarf kann in diesem Fall ohne Darlegung der konkreten Einkommensverwendung nach der Einkommensquote bemessen werden.
- Soweit das Einkommen darüber hinausgeht, hat der Unterhaltsberechtigte, wenn er dennoch Unterhalt nach der Quotenmethode begehrt, die vollständige Verwendung des Einkommens für den Lebensbedarf darzulegen und im Bestreitensfall in vollem Umfang zu beweisen.
- Ein Auskunftsanspruch gegen den Unterhaltspflichtigen ist immer schon dann gegeben, wenn unabhängig von der tatsächlichen Vermutung der Einkommensverwendung eine Darlegung des Bedarfs nach der Quotenmethode in Betracht kommt. Aufgrund der Erklärung des Unterhaltspflichtigen, er sei „unbegrenzt leistungsfähig“, entfällt der Auskunftsanspruch noch nicht.